Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt hat es einer Rechtsreferendarin islamischen Glaubens im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ermöglicht, ihren juristischen Vorbereitungsdienst einschließlich eventuell durchzuführender Beweisaufnahmen und staatsanwaltschaftlicher Sitzungsvertretungen sowie der Leitung von Anhörungsausschüssen mit einem Kopftuch, das Haare und Hals bedeckt, zu versehen.

Die Antragstellerin hat im Januar 2017 den juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Frankfurt am Main angetreten. Als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung trägt sie ein Kopftuch, das Haare und Hals bedeckt. Schon vor Aufnahme des Referendardienstes hat sie über das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Hinweisblatt folgenden Inhalts erhalten: "Das hessische Ministerium der Justiz hat mich angewiesen, Sie über folgende Umstände zu belehren: Auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und neutral zu verhalten. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeit ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können. Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen, die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und/oder Beweisaufnahmen durchführen können, keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können, während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzungen leiten können …".

Die Antragstellerin sah sich durch das Hinweisblatt in ihrem Vorbereitungsdienst eingeschränkt und diskriminiert. Die Nichtvornahme der einzelnen Tätigkeiten im Rahmen des Referendariats könne für sie zu wesentlichen Nachteilen führen. Das Tragen des Kopftuches stelle für sie ein religiöses Gebot dar, dessen Nichtbeachtung sie in einen schwerwiegenden Gewissenskonflikt stürze. Das erhaltene Hinweisblatt richte sich explizit an muslimische, kopftuchtragende Referendarinnen. Durch diesen Hinweis werde sie gegenüber anderen Rechtsreferendarinnen benachteiligt. Außerdem werde sie in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit beeinträchtigt. Denn das Land Hessen habe ein Ausbildungsmonopol im Bereich der Juristenausbildung. Daher müsse sie die Ausbildung auch so absolvieren können, wie es das Juristenausbildungsgesetz vorsehe.

Das Land Hessen geht zwar ebenfalls von einem Eingriff in die Religionsfreiheit der Antragstellerin aus, hält diesen aber für gerechtfertigt. Der hessische Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die Religionsfreiheit geschaffen. § 45 Hessisches Beamtengesetz ermächtige den hessischen Gesetzgeber, Regelungen zur Sicherung der staatlichen Neutralität zu treffen. Diese Regelung sei in analoger Verweisung auch auf Rechtsreferendare anwendbar. Die Ausübung des Vorbereitungsdienstes mit der Übernahme staatlicher Funktionen und der Repräsentation nach außen mit religiös konnotierter Bekleidung verstoße gegen das Neutralitätsgebot in der Justiz. Mit dem Hinweisblatt habe man auf diese Rechtslage hingewiesen.

Dieser Einschätzung ist das VG nicht gefolgt. Für die der Antragstellerin auferlegten Einschränkungen gebe es im Hinblick auf das Tragen des Kopftuches keine gesetzliche Grundlage. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien aber behördliche Eingriffe in Form von Verboten oder wirkungsähnlichen Maßnahmen, die den Schutzbereich eines Grundrechts betreffen, grundsätzlich nur aufgrund eines förmlichen Parlamentsgesetzes möglich.

Sodann führt das VG aus, dass das Verbot des Tragens des Kopftuches während wesentlicher Teile des Vorbereitungsdienstes in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die Berufswahlfreiheit der Antragstellerin eingreift. Diese habe eine religiöse Motivation für das von ihr aus Glaubensgründen verpflichtend dargestellte Gebot des Tragens des Kopftuches geltend gemacht. Auch ihre Berufswahlfreiheit sei betroffen, da Rechtsreferendare einem (faktischen) staatlichen Ausbildungsmonopol unterlägen.

Diesen Grundrechtseinschränkungen auf Seiten der Antragstellerin stünden weitere grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien, wie die staatliche Neutralität – gerade im Bereich der Justiz von herausragender Bedeutung – sowie die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit weiterer Verfahrensbeteiligten gegenüber. Diese könnten sich durch eine Referendarin, die die staatliche Autorität repräsentiert und zugleich religiös konnotierte Kleidung trägt, beeinträchtigt fühlen oder aber Zweifel an der Neutralität dieser Person und damit eventuell auch an der Justiz haben. Dieses Aufeinandertreffen miteinander konkurrierender grundrechtlicher Freiheitsrechte und verfassungsrechtlicher Prinzipien erfordere eine gesetzgeberische Lösung. Der Gesetzgeber habe zwar mit dem Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität eine ausdrückliche Nominierung zur Neutralitätspflicht für Beamte im Hessischen Beamtengesetz und für Referendare im schulischen Vorbereitungsdienst geschaffen. Für Rechtsreferendare, die bereits seit 2002 nicht mehr in einem Beamtenverhältnis auf Widerruf gestanden hätten, sei keine derartige Regelung erfolgt. In Bereichen, in denen die Grenzen der Religionsfreiheit bestimmt und sichergestellt werden müssen, seien Eingriffe aber nur sehr eingeschränkt und ausschließlich durch den parlamentarischen Gesetzgeber möglich. Allein ein Erlass oder ein Hinweisblatt entspreche diesen Anforderungen nicht.

Ausdrücklich weist das VG darauf hin, dass eine gesetzliche Regelung für Berufsbeamte und Richter getroffen worden ist. Für Richter sei über das hessische Richtergesetz vor dem Hintergrund der staatlichen Neutralität und der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Verfahrensbeteiligten festgelegt, dass diese ohne Glaubens- beziehungsweise Bekenntnissymbole in Außenkontakt mit Verfahrensbeteiligten treten. Denn Beamte und Richter seien Amtsträger und damit der Neutralität des Staates verpflichtet. Hiervon unterscheide sich aber die Stellung eines Rechtsreferendars. Im Hinblick auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit und den hohen Stellenwert der Berufswahlfreiheit – gerade auch im Hinblick auf den ungeschmälerten und vollständigen Ausbildungsumfang – sei es unverhältnismäßig, diesen in der Ausbildung befindlichen Menschen in religiös-weltanschaulicher Hinsicht die gleichen Verhaltenspflichten aufzuerlegen wie den ernannten Richtern. Allein eine abstrakte Gefährdung der staatlichen Neutralität könne hier einen derartigen Eingriff nicht rechtfertigen. Auch im Hinblick auf den Verfahrensfrieden sei das religiös motivierte Tragen des Kopftuches bei Rechtsreferendarinnen hinzunehmen. Es bestünden hinreichende Möglichkeiten, die Beteiligten eines Verfahrens beziehungsweise Rechtsstreits im Einzelfall angemessen darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Rechtsreferendar um eine in Ausbildung befindliche Person handele.

Auch soweit die Referendarin als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eigenverantwortlich die Anklage in einem Strafprozess vertreten müsse, könne der Vorsitzende des Strafgerichts entsprechende Hinweise auf die Ausbildungssituation an die Verfahrensbeteiligten geben. Sollte es dennoch zu Unzuträglichkeiten im konkreten Einzelfall kommen, könne die Antragstellerin dann diesen Dienst nicht mehr wahrnehmen, ohne sich auf ein Diskriminierungsverbot berufen zu können.

Gegen die Entscheidung ist Beschwerde an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof möglich.

Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, 9 L 1298/17.F


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