Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) möchte die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 Gewerbeordnung (GewO) eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen muss, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt. Weil er damit von der Rechtsprechung des Fünften Senats (Urteil vom 22.02.2012, 5 AZR 249/11) abweicht, fragt er an, ob der Fünfte Senat an seiner Rechtsauffassung festhält.

Der Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er war zuletzt als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund eingesetzt. Zwischen den Parteien war im Jahr 2013/14 ein Kündigungsrechtsstreit anhängig, der zugunsten des Klägers ausging. Nachdem Mitarbeiter im März 2014 eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger abgelehnt hatten, teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 23.02.2015 mit, dass sie ihn für die Zeit vom 16.03. bis zum 30.09.2015 am Standort Berlin einsetzen werde; eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb dieses Teams bestehe nicht. Nachdem der Kläger seine Arbeit am Standort Berlin nicht aufgenommen hatte, mahnte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 26.03.2015 ab. Im April 2015 erfolgte eine weitere Abmahnung. Mit Schreiben vom 28.05.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Der Kläger möchte festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung vom 23.02.2015 Folge zu leisten. Des Weiteren begehrt er die Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte. In einem weiteren Verfahren (2 AZR 329/16) wendet er sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) haben der Klage stattgegeben.

Über die Revision der Beklagten kann laut BAG noch nicht entschieden werden. Die Auffassung des LAG, die Bestimmungen des Arbeitsvertrags der Parteien ließen zwar grundsätzlich eine Änderung des Arbeitsortes des Klägers zu, die Versetzung von Dortmund nach Berlin habe aber nicht billigem Ermessen entsprochen, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Fünfte Senat habe allerdings die Auffassung vertreten, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung, die nicht aus anderen Gründen unwirksam sei, nicht hinwegsetzen dürfe, solange keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliege, die deren Unwirksamkeit feststelle. Der Zehnte Senat möchte hingegen die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig – folgen muss und fragt deshalb an, ob der Fünfte Senat an seiner Rechtsauffassung festhält.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.06.2017, 10 AZR 330/16


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