Einem Steuerpflichtigen kann kein grobes Verschulden vorgeworfen werden, wenn ihm nachträglich bekannt wird, dass der in den Jahresbescheinigungen seines Schweizer Arbeitgebers ausgewiesene Bruttoarbeitslohn zu hoch war, weil er gezahlte Kinderzulagen enthielt. Dies hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg entschieden.

Die Kläger haben drei Kinder und wurden in den Streitjahren 2009 bis 2011 zusammen veranlagt. Der Kläger arbeitet seit 2009 in der Schweiz. Als Monatsgehalt war ein Betrag von 6.250 Schweizer Franken "zuzüglich der gesetzlichen Kinderzulage für jedes bezugsberechtigte Kind, Sozialleistungen, abzüglich AHV / IV / Pensionskasse" vereinbart. Der Kläger pendelte täglich zwischen dem Arbeitsort und der Familienwohnung in Deutschland, wo er auch seinen Arbeitslohn als Grenzgänger versteuerte. Die Einkommensteuererklärungen der Jahre 2009 bis 2011 enthielten jeweils die Anlage N für Grenzgänger (N-Gre). In diesen hatte der Kläger seinen Bruttoarbeitslohn entsprechend den Angaben auf dem Lohnausweis des Arbeitgebers für das jeweilige Jahr eingetragen. Das Feld "Kinderzulage" in Zeile 6 der Anlage N-Gre blieb unausgefüllt. In den Anlagen Kind trugen die Kläger jeweils den Jahresbetrag des deutschen Kindergeldes ein. Das Finanzamt übernahm die Angaben der Kläger in den Einkommensteuerbescheiden 2009 bis 2011.

Mit Schreiben vom 18.11.2013 teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem Finanzamt mit, dass in den Anlage N-Gre der Jahre 2009 bis 2011 zu hohe Bruttogehälter eingetragen worden seien, weil die Bruttolohnsumme Kinderzulagen enthalten habe. Unter den nunmehr eingereichten Belegen waren unter anderem monatliche Lohnabrechnungen des Arbeitgebers des Klägers, in denen die Kinderzulage gesondert ausgewiesen wird. In den Steuererklärungen seien außerdem Kindergeldbeträge angegeben worden, die die Kläger nie erhalten hätten. Der Prozessbevollmächtigte beantragte insoweit die Änderung der Veranlagungen für 2009 bis 2011. Das Finanzamt lehnte die Änderung ab. Eine Änderung gemäß § 173 der Abgabenordnung (AO) sei nicht möglich, weil die Kläger am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache ein grobes Verschulden treffe.  
Dieser Ansicht folgte das FG nicht. Die Kläger treffe kein grobes Verschulden an der nachträglichen Mitteilung, dass in dem vom Schweizer Arbeitgeber ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn Kinderzulagen enthalten waren. Die Grenze zur groben Fahrlässigkeit sei nicht überschritten. Zwar sei die im Formular N-Gre ausdrücklich enthaltene Zeile "Kinderzulage" nicht ausgefüllt gewesen. Es liege aber keiner der Fälle vor, in denen der Steuerpflichtige beziehungsweise dessen steuerlicher Berater eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet habe. Von einer groben Fahrlässigkeit sei nur dann auszugehen, wenn der Steuerpflichtige beziehungsweise sein steuerlicher Berater in Steuerformularen gestellte Fragen – bewusst – nicht beantwortet oder klare und ausreichend verständliche Hinweise und Angaben – bewusst – unbeachtet lasse. Einen Rechtssatz, wonach eine Änderung nach § 173 Absatz 1 Nr. 2 AO immer ausgeschlossen sei, sofern ein bloßer Zusammenhang der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache mit einer in der Steuererklärung gestellten Frage bestehe, gebe es nicht.

Im Streitfall habe der steuerliche Berater der Kläger die im Formular N-Gre gestellte Frage nach einer Kinderzulage anhand der Jahreslohnbescheinigung (mittelbar) mit "nein" beantwortet. Denn in dieser war eine solche nicht ausgewiesen. Um die Frage richtig zu beantworten, hätte der Bevollmächtigte zunächst erkennen müssen, dass die Kinderzulagen im Bruttolohn enthalten waren. Die Kläger und ihr steuerlicher Berater hätten also im Formular die Frage nicht bewusst nicht, sondern unbewusst unrichtig beantwortet.  
Dass die Kläger dem steuerlichen Berater jeweils nur die Jahreslohnbescheinigungen vorgelegt und dieser die Einkommensteuererklärung nur anhand dieser Bescheinigung erstellte habe, begründe keinen Vorwurf einer groben Pflichtverletzung. Die Erstellung einer Einkommensteuererklärung anhand der Jahreslohnbescheinigung sei in der Praxis absolut üblich. Weder die Kläger noch der Prozessbevollmächtigte hätten zudem – in den Streitjahren – Anlass gehabt, den jeweiligen Bescheinigungen nicht zu vertrauen. Diese seien auch nicht falsch. Denn aus Sicht des Schweizer Arbeitgebers sei die Kinderzulage Bestandteil des Bruttolohns gewesen.
 
Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt (VI R 24/17).

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.02.2017, 4 K 1838/14


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