Neben einer ausländischen Versicherungszeit ist eine weitere, die nach einem bilateralen Sozialversicherungsabkommen anrechnungsfähig ist, für den Anspruch auf Altersrente für Menschen mit Schwerbehinderung heranzuziehen, wenn das Abkommen keine Abwehrklausel enthält. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden und deutsche, französische und serbische Versicherungszeiten bei der Altersrente für Menschen mit Schwerbehinderung kumulativ berücksichtigt.

Die 1940 noch im Königreich Jugoslawien geborene Klägerin ist seit 1978 deutsche Staatsangehörige. Sie war im serbischen Teil der früheren Republik Jugoslawien sowie in Frankreich und Deutschland rentenversicherungspflichtig beschäftigt, ohne dass sich die Versicherungszeiten überschnitten. Ab Ende März 1998 wurde sie als Mensch mit Schwerbehinderung anerkannt. Im Oktober 1999 beantragte sie bei der für sie zuständigen Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung neben der Gewährung einer Altersrente für Menschen mit Schwerbehinderung auch eine für Frauen, welche ihr mit Bescheid vom 30.03.2000 ab dem Folgemonat und unter Berücksichtigung ausschließlich deutscher Versicherungszeiten bewilligt wurde. Mit Bescheid vom 02.07.2009 wurde die Altersrente für Frauen unter weiterer Berücksichtigung einer in Frankreich zurückgelegten Pflichtbeitragszeit rückwirkend ab Januar 2004 neu festgestellt.

In einem landessozialgerichtlichen Verfahren, das sich aus einem Streit über die Rechtmäßigkeit einer 2011 erfolgten Bescheidung über eine Rentenanpassung entwickelte, schlossen die Klägerin und die beklagte Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, im Rahmen eines Zugunstenverfahrens den Bescheid vom 30.03.2000 in der jeweiligen Fassung der nachfolgenden Verwaltungsentscheidungen unter der Annahme einer Antragstellung im Juni 2011 zu überprüfen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Altersrente für Menschen mit Schwerbehinderung setze unter anderem voraus, dass die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt sei. Diese ergebe sich im Fall der Klägerin weder aus den deutschen und französischen Versicherungszeiten noch aus den deutschen und serbischen. Sozialversicherungsabkommen regelten immer nur die Beziehung zwischen zwei Staaten. Eine Verknüpfung von oder mit mehreren Abkommen verstoße gegen das Verbot der multilateralen Vertragsanwendung. Das sozialgerichtliche Verfahren verlief für die Klägerin erfolglos.

Das LSG gab ihr demgegenüber in Bezug auf den Leistungsanspruch dem Grunde nach Recht. Die Berücksichtigung der französischen Versicherungszeit bestimme sich noch nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Der Anrechnung der im serbischen Teil der früheren Republik Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeit, die sich aus dem Abkommen vom 12.10.1968 zwischen Deutschland und dieser ergibt, welches im Verhältnis zu Serbien weiterhin Anwendung findet, stehe der Ausschluss der multilateralen Zusammenrechnung von Versicherungszeiten (Kumulierungsverbot) nicht entgegen. Die nicht erwünschte Belastung eines Drittstaates durch ein weiteres Sozialversicherungsabkommen trete nicht ein, wenn nur die deutsche Sozialleistungsträgerin die Versicherungszeiten kumulativ berücksichtigen muss. Eine Regelung, die ihr bei der Anwendung des Sozialversicherungsabkommens die gleichzeitige Heranziehung eines anderen bilateralen Abkommens beziehungsweise einer anderen ausländischen Versicherungszeit verbietet (Abwehrklausel), enthalte das Abkommen vom 12.10.1968 nicht.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2018, L 11 R 1005/17


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