Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags eines in Deutschland nachgeborenen Kindes, dessen Eltern zuvor in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist, geht jedenfalls dann gemäß Artikel 21 Absatz 1 Unterabsatz 3 Dublin III-Verordnung auf Deutschland über, wenn nicht binnen drei Monaten der andere Mitgliedstaat um Aufnahme des Kindes ersucht worden ist. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Die im Juni 2018 in Deutschland geborene Klägerin ist Kind somalischer Staatsangehöriger, denen in Italien internationaler Schutz gewährt worden war. Der nach der Einreise nach Deutschland gestellte (erneute) Asylantrag der Eltern wurde wegen Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach § 29 Absatz 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abgelehnt. Mit Bescheid vom November 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch den Asylantrag der Klägerin nach § 29 Absatz 1 Nr. 1a) AsylG wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab und drohte die Abschiebung nach Italien an.

Nach Artikel 20 Absatz 3 Dublin III-Verordnung sei die Situation des Kindes untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden, weshalb die Prüfung des Asylantrags in die Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaates falle, der für die Prüfung des Asylantrags der Eltern zuständig sei. Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Artikel 20 Absatz 3 Dublin III-Verordnung begründe weder in erweiternder Auslegung noch in analoger Anwendung eine Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylbegehrens der Klägerin. Im Übrigen sei der Bescheid auch deswegen rechtswidrig, weil Deutschland es versäumt habe, binnen drei Monaten nach der Antragstellung der Klägerin gemäß Artikel 21 Absatz 1 Dublin III-Verordnung ein Aufnahmegesuch an Italien zu richten.

Das BVerwG hat die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis bestätigt. Nicht abschließend entschieden hat es, ob bei Asylanträgen von im Bundesgebiet nachgeborenen Kindern von Drittstaatsangehörigen, denen zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die Zuständigkeitsregelung des Artikels 20 Absatz 3 Satz 2 Halbs. 1 Dublin III-Verordnung erweiternd auszulegen oder analog anzuwenden ist und somit der Mitgliedstaat, der den Eltern Schutz gewährt hat, auch für das Schutzgesuch des Kindes zuständig ist, sofern dies dessen Wohl dient. Diese in der Rechtsprechung umstrittene Frage von unionsrechtlicher Bedeutung war laut BVerwG für die Entscheidung nicht zu klären, weil das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen sei, dass eine hiernach etwa begründete Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin jedenfalls auf Deutschland übergegangen wäre (Artikel 21 Absatz 1 UnterAbsatz 3 Dublin III-Verordnung).

Das BAMF habe es versäumt, binnen drei Monaten nach der Asylantragstellung der Klägerin ein Aufnahmegesuch an Italien zu richten. Artikel 20 Absatz 3 Satz 2 Halbs. 2 Dublin III-VO, nach dem bei nachgeborenen Kindern für diese kein neues Zuständigkeitsverfahren eingeleitet werden muss, sei selbst bei entsprechender Anwendung der Zuständigkeitsregelung (Artikel 20 Absatz 3 Satz 2 Halbs. 1 Dublin III-Verordnung) nicht analog anzuwenden, wenn das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren für die Eltern bereits abgeschlossen und diesen durch einen anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist. Das nachgeborene Kind könne dann nicht (mehr) in ein Zuständigkeits- und Überstellungsverfahren seiner Eltern einbezogen werden. Bedarf es folglich für das Kind eines eigenständigen Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach der Dublin III-VO, seien nicht zuletzt zur zwischenstaatlichen Klärung der internationalen Zuständigkeit auch die in Artikel 21 ff. Dublin III-Verordnung geregelten Verfahren und Fristen zu beachten.

Eine Umdeutung des Bundesamtsbescheides in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Absatz 1 Nr. 2 AsylG, der auch nicht entsprechend anzuwenden ist, scheide ebenfalls aus. Es fehle an den tatbestandlichen Voraussetzungen beziehungsweise einer Regelungslücke.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.07.2020, BVerwG 1 C 37.19


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