Anerkennung der Kosten einer Studienreise eines Lehrers als Werbungskosten; Weitaus überwiegendes berufliches Interesse; Behördliche Einflußnahme als Indiz

Rechtsgrundlage:

§ 9 EStG 1952

Fundstellen:

BFHE 59, 144 - 146

BStBl. III 1954, 264

DB 1954, 794-795 (Volltext)

Amtlicher Leitsatz:

Aufwendungen für Lehrgänge im Ausland können Werbungskosten sein.

Zusammenfassung:

Aufwendungen für Lehrgänge im Ausland können Werbungskosten sein.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Kosten einer Lehrgangsausbildung in England Werbungskosten sind.

2

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Lehrer bei der "Oberschule des praktischen Zweiges" in X. Er ist Angestellter des Landes A und strebt die Übernahme in das Beamtenverhältnis an. Er hat die Absicht, die Fachlehrerprüfung im Englischen abzulegen.

3

Er hat im Sommer 1952 an einer von der Internationalen Sommerschule (ISS) in A veranstalteten Studienreise nach London teilgenommen. Die Reise wurde in enger Zusammenarbeit mit der Anglo-German-Association in London, der Whitehall (englische Beamtenorganisation) und der International Summer Schools Society in London durchgeführt.

4

Die ISS ist eine Vereinigung von Lehrern, die im Vereinsregister eingetragen ist. Nach dem Vortrag des Stpfl. erfolgte die Gründung in Zusammenarbeit mit dem Senator für Volksbildung (Hauptschulamt). Die Satzungen sind von der Rechtsabteilung des Hauptschulamts entworfen worden. Nach § 2 der Satzungen bezweckt der Verein, die sprachlichen und landeskundlichen Kenntnisse der Mitglieder zu fördern und den Gedanken der Völkerverständigung zu pflegen. Dieser Zweck soll erreicht werden durch vorbereitende Veranstaltungen sprachlicher und landeskundlicher Art, gemeinsame Treffen von Ausländern und Mitgliedern in Deutschland und durch Auslandsfahrten. Nach § 6 gehört dem Vorstand ein Mitglied der Hauptschulverwaltung an.

5

Die Reise im Sommer 1952 wurde durch mehrere Vorträge, Diskussionsabende, Filmvorführungen und Übungsabende vorbereitet. Die Reise selbst und die Unterbringung der Teilnehmer in London wurde von der ISS organisiert. Die Unterbringung erfolgte in einzelnen Familien sowohl aus sprachlichen Gründen als auch zur Pflege der Völkerverständigung. Der Aufenthalt in Lodon war durch laufende Veranstaltungen, Besichtigungen, Vorträge, Führungen und Schulbesuche mit Hospitationen ausgefüllt. Beim Besuch von Schulen gab der Schulleiter zunächst einführende Erklärungen über Zweck und Ziel seiner Anstalt. Dann wohnten die Teilnehmer dem Unterricht in den verschiedenen Schulklassen bei, wobei sie Gelegenheit hatten, zu den englischen Kindern zu sprechen und vereinzelt auch Lektionen zu geben. Die ISS hat bescheinigt, daß das Programm so umfangreich gewesen sei, daß keinesfalls von einer "Erholungsreise" gesprochen werden könne.

6

Die Kosten, deren Anerkennung als Werbungskosten der Stpfl. erstrebt, betrugen 500,00 DM. Zur Begründung seines Begehrens hat der Stpfl. u.a. folgendes ausgeführt: Für einen Sprachlehrer sei es eine unerläßliche Voraussetzung, daß er nicht nur die betreffende Fremdsprache beherrsche, sondern auch über entsprechende Kenntnisse des fremden Landes, seiner Kultur, seiner Einrichtungen und seiner besonderen Eigenarten verfüge. Diese Kenntnisse seien hauptsächlich durch Besuche des Landes zu erwerben. Seine Teilnahme an der Studienreise habe deshalb ausschließlich den Zweck gehabt, seine Sprachkenntnisse und seine fachlichen Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu verbessern.

7

Das Landesfinanzamt bestreitet, daß für die Studienfahrt überwiegend berufliche Gründe im Vordergrund gestanden hätten. Aus der Tatsache, daß die Schulverwaltung den Teilnehmern der Reise weder irgendwelche materielle Unterstützung noch Sonderurlaub gewährt habe, ergäbe sich deutlich, daß die Schulbehörde nur sehr bedingt ein berufliches Interesse und keinesfalls eine Notwendigkeit für die Teilnahme an diesen Studienfahrten anerkenne.

8

Das Verwaltungsgericht hat die von dem Stpfl. aufgewendeten Kosten um die Haushaltsersparnisse gekürzt und im übrigen der Berufung stattgegeben.

9

Es hat ausgeführt, daß Studienreisen dann als überwiegend im beruflichen oder dienstlichen Interesse liegend anzuerkennen seien, wenn es sich um behördlich gelenkte Lehrgänge oder ähnliche Einrichtungen handle, die hierdurch die Schulbehörde zum Ausdruck bringe, daß sie die Beteiligung an solchen Lehrgängen und Reisen für den Schulbetrieb für förderungswert halte. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall gegeben.

Entscheidungsgründe

10

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Landesfinanzamts kann keinen Erfolg haben.

11

Es würde zu weit gehen, wollte man die Auffassung vertreten, daß die Kosten einer Studienreise nur dann als Werbungskosten anzuerkennen seien, wenn sie ausschließlich im beruflichen Interesse aufgewendet wurden. Nach der Auffassung des erkennenden Senats genügt es, wenn weitaus überwiegend der Gesichtspunkt des beruflichen Interesses ausschlaggebend ist.

12

Im Streitfall handelt es sich, wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat, nicht um eine Studienreise im landläufigen Sinn. Aus dem von der ISS vorgelegten Programm ergibt sich vielmehr, daß die Teilnehmer in England lehrgangsmäßig geschult wurden. Die historische Entwicklung der ISS und ihre enge Verbindung mit dem Hauptschulamt lassen den Schluß zu, daß auch eine - mindestens mittelbare - behördliche Einflußnahme vorliegt. Unter diesen besonderen Umständen kommt der erkennende Senat mit dem Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Aufenthalt der Teilnehmer in England in weitaus überwiegendem Maße ihrer sprachlichen und schulischen Fortbildung diente, die zusätzlich durch zweckentsprechende landeskundliche und kulturelle Ausbildungsmaßnahmen unterstützt wurde.

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Es ist dem Landesfinanzamt zuzugeben, daß die von dem Senator für Volksbildung betonte Notwendigkeit der Durchführung der Studienreise hätte erwarten lassen, daß ihre Finanzierung mit Staatsmitteln erfolgte. Wenn dieser Erwartung mit dem Einwand begegnet wird, daß staatliche Mittel hierzu nicht zur Verfügung standen, so ist dies angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse und der besonderen Lage des Landes A verständlich. Der Senator für Volksbildung hat weiterhin ausgeführt, daß die Lehrer mit 85 Ferientagen nicht etwa ihren Urlaubsanspruch abdecken, da sonst ihre Urlaubszeit ungleich höher als die aller anderen Beteiligten läge. Es müsse vielmehr von ihnen erwartet werden, daß sie die Ferien zu ihrer Weiterbildung benützten. So betrachtet, ist es verständlich, daß den Lehrern für die Teilnahme an Studienreisen bzw. Lehrgängen kein Sonderurlaub gewährt wird. Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß der Stpfl. an seiner beruflichen Fortbildung ein ganz besonderes Interesse hatte, weil er seine Einstellung als beamteter Lehrer anstrebt.