Ausübung eines Sports; Krankheitskosten; Ärztliche Bescheinigung

Rechtsgrundlage:

§ 33 EStG

Fundstellen:

BStBl II 1972, 14

DB 1972, 122 (Volltext mit amtl. LS)

DStR 1972, 49-50 (Volltext)

Amtlicher Leitsatz:

Aufwendungen für die Ausübung eines Sports können nur dann als Krankheitskosten nach § 33 EStG berücksichtigt werden, wenn durch eine ärztliche Bescheinigung die Ausübung des Sports als für die Heilung oder Linderung der Krankheit eindeutig erforderlich nachgewiesen wird, wenn ferner ärztliche Anweisungen über Art und Umfang der Ausübung des Sports vorliegen und wenn der Sport unter ärztlicher Leitung und Aufsicht ausgeübt wird. Je nach der Art des Sports kann ausnahmsweise die fachkundliche Leitung und Aufsicht -- z. B. durch eine Krankengymnastin -- genügen.

Tatbestand:

1

Der Kläger und Revisionskläger hat im Veranlagungszeitraum 1962 2 659 DM und im Veranlagungszeitraum 1963 3 244 DM für den Reitsport aufgewendet. Er beantragte im Veranlagungsverfahren die Berücksichtigung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung mit der Begründung, der Reitsport sei für sein Hämorrhoidalleiden die erfolgreichste Heilbehandlung. Auf die Aufforderung des FA, die Krankheit und die Ausübung des Reitsports als eine geeignete und übliche Behandlung durch ein amtsärztliches Zeugnis bestätigen zu lassen, legte er ein amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamts M. vom 17. August 1962 vor. Darin wird bestätigt, daß er an leichter, äußerer Hämorrhoidalbildung leide; über die Art der Heilbehandlung ist darin nichts gesagt. Das FA erkannte die außergewöhnliche Belastung nicht an. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

2

Mit der Klage begehrte der Revisionskläger weiterhin Anerkennung der Aufwendungen für den Reitsport als außergewöhnliche Belastung. Zur Begründung verwies er auf eine amtsärztliche Bestätigung vom 12. März 1952 des Staatlichen Gesundheitsamtes R. Darin ist bescheinigt, daß der Revisionskläger an inneren Hämorrhoiden leide, daß es dagegen keine einschlägige Therapie gebe, daß Reiten die zweckentsprechendste Behandlungsmethode bilde und eine Operation nicht zumutbar sei. In der mündlichen Verhandlung legte das FA eine fachärztliche Bescheinigung vom 1. April 1954 vor, aus der sich ergibt, daß dem Kläger der Reitsport als Ausgleich für seine sitzende Tätigkeit ärztlich empfohlen wurde.

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Die Klage wurde abgewiesen. Das FG führte aus, Aufwendungen, die bei einer Sportart erwachsen würden, könnten ausnahmsweise als eine außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn eindeutig nachgewiesen werde, daß die Sportart ausschließlich zur Heilung einer Krankheit oder eines Gebrechens ausgeübt werde. Weil aber das Reiten zu den besonders aufwendigen Sportarten gehöre, die häufig auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Geltung und Stellung ausgeübt würden, müsse darüber hinaus durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden, daß diese Sportart das einzige Mittel zur Wiederherstellung der Gesundheit sei. Diesen Nachweis habe der Revisionskläger nicht erbracht. Der Hinweis auf die ärztliche Bescheinigung vom 12. März 1952 sei im Streitfall undienlich. Sie sei schon 15 Jahre alt; ihr liege auch eine andere Krankheit, nämlich innere Hämorrhoiden, zugrunde. Schließlich sei heute nicht mehr nachprüfbar, wie es zu dieser Bescheinigung gekommen sei. Die Bescheinigung vom 1. April 1954 empfehle das Reiten lediglich als Ausgleichssport und sage nichts über das Hämorrhoidalleiden. Die Bescheinigung vom 17. August 1962 bestätige lediglich leichte äußere Hämorrhoiden, ohne den Reitsport überhaupt zu erwähnen. Der Einwand, das FA habe die Aufwendungen für den Reitsport als außergewöhnliche Belastung nur wegen deren Höhe nicht berücksichtigt, sei unbeachtlich, denn im Streitfall seien sie unter keinem Gesichtspunkt abzugsfähig. Daran ändere auch nichts die falsche Sachbehandlung (Anerkennung) in den früheren Veranlagungszeiträumen. Eine Bindung nach Treu und Glauben könne auch dann nicht eintreten, wenn der Revisionskläger lediglich im Hinblick auf die früher gewährte Steuerermäßigung geritten sein sollte.

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Mit der Revision beantragt der Revisionskläger Aufhebung der Vorentscheidung und Berücksichtigung der Aufwendungen für den Reitsport als außergewöhnliche Belastung. Er rügt Verfahrensmängel und Verletzung materiellen Bundesrechts.

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Ein Verfahrensmangel sei es, daß ihn das FG durch Feststellungen im Urteil überrascht habe, ohne ihn entgegen seiner Verpflichtung nach § 76 FGO auf die von ihm zugrunde zu legenden Rechtsauffassungen hinzuweisen und ihm dadurch Gelegenheit zu geben, die geeigneten Beweisanträge zu stellen. Nach der richtigen Meinung der Vorentscheidung müsse der Steuerpflichtige eindeutig nachweisen, daß das Reiten ausschließlich zur Heilung einer Krankheit oder eines Gebrechens ausgeübt werde. Das habe er aber durch Vorlage der Bescheinigung vom 12. März 1952 getan. Wenn das FG diese Bescheinigung nicht mehr anerkennen wolle, so müsse es nachweisen, aus welchem Grund das geschehe. Wenn das FG dies unterlassen habe, so liege darin ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht und den Amtsermittlungsgrundsatz. Es fehle an der Feststellung des Sachverhalts. Grundsätzlich müsse die einmalige Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung genügen. Er sei ein erfahrener Reiter, der die therapeutischen Voraussetzungen des Reitens zu gesundheitlichen Zwecken selbst beurteilen könne. Eine ärztliche oder sonstige fachkundliche Aufsicht sei bei ihm deshalb entbehrlich.

Entscheidungsgründe

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Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung.

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1. Der Untersuchungsgrundsatz, der die FGO beherrscht, besagt, daß das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die Beteiligten dabei heranzuziehen hat (§ 76 Abs. 1 FGO). Der Vorsitzende des Gerichts hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden (§ 76 Abs. 2 FGO). Damit sind die Pflichten des Gerichts vollständig dargestellt. Sie erschöpfen sich in Feststellungen in bezug auf den Sachverhalt. Entgegen der Ansicht des Revisionsklägers ist aus § 76 FGO keine Pflicht des FG zu entnehmen, den Kläger auf die von ihm zugrunde zu legenden Rechtsauffassungen hinzuweisen. Das würde im Ergebnis eine Vorwegnahme des Urteils im Laufe des Verfahrens bedeuten. Eine Entscheidung des Gerichts hat nach § 96 Abs. 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu erfolgen. Nach § 96 Abs. 2 FGO darf allerdings das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Auch in diesem Zusammenhang kommt es also entscheidend nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse an. Es stellt keine diesen Grundsätzen widersprechende "Überraschung" des Klägers dar, wenn das Gericht im Urteil Rechtsauffassungen vertritt, die im Laufe des Verfahrens nicht erörtert worden sind.

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Der Revisionskläger irrt mit seiner Ansicht, das FG unterstelle, daß er den Reitsport auch im Hinblick auf seine gesellschaftliche Stellung und Geltung ausgeübt habe. Eine solche Feststellung enthält das FG-Urteil nicht. Das FG hat lediglich festgestellt, das Reiten gehöre zu den besonders aufwendigen Sportarten, die häufig auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Geltung und Stellung ausgeübt würden. Daß das auch beim Revisionskläger zutreffe, ist nicht gesagt.

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2. Trotzdem mußte die Vorentscheidung aufgehoben werden, da es an einer eindeutigen Feststellung des zugrunde zu legenden Sachverhalts fehlt.

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Aufwendungen für die Ausübung eines Sports gehören grundsätzlich zu den gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung. Ausnahmen von diesem Grundsatz können in Betracht kommen, wenn der Sport betrieben wird, um eine Krankheit oder ein Gebrechen zu heilen oder zu seiner Besserung oder Linderung beizutragen. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen ist aber aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere genügt es nicht, daß es sich um die Ausübung eines Ausgleichssports durch Personen mit überwiegend sitzender Tätigkeit handelt. Wie der BFH im Urteil VI 155/55 U vom 26. Juli 1957 (BFH 65, 298, BStBl III 1957, 347) ausgeführt hat, liegt es nicht im Sinne des § 33 EStG, durch eine Überspannung des Begriffs "Krankheitskosten" übliche Kosten zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Aus diesem Grunde haben Verwaltung und Rechtsprechung z. B. an die Anerkennung von Aufwendungen für Badekuren als außergewöhnliche Belastungen mit Recht strenge Anforderungen gestellt. Die Anerkennung setzt grundsätzlich voraus, daß sich der Steuerpflichtige am Kurort unter ärztliche Aufsicht und Beobachtung begibt (EFG 1955, 367; vgl. auch die BFH-Urteile VI 155/55 U, a. a. O.; VI 265/60 vom 27. Januar 1961, StRK, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 130, und VI 223/60 vom 19. Mai 1961, StRK, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 135).

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Entsprechendes muß auch für die Anerkennung von Aufwendungen für die Ausübung eines Sports als Krankheitskosten gelten. Ihre Anerkennung als außergewöhnliche Belastung setzt zunächst voraus, daß durch eine ärztliche Bescheinigung die Ausübung des Sports als für die Heilung oder Linderung einer Krankheit eindeutig erforderlich nachgewiesen wird. Weiter sind aber ärztliche Anweisungen über Art und Umfang der Ausübung des Sports im Sinne einer Programmierung erforderlich. Schließlich muß verlangt werden, daß der Sport unter ärztlicher Leitung und Aufsicht ausgeübt wird. Eine ärztliche Leitung und Aufsicht kann allerdings bei manchen Sportarten -- z. B. bei Versehrtensport, insbesondere in der Form der Gymnastik --, ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn an ihre Stelle die Leitung und Beaufsichtigung durch eine fachkundige Person -- z. B. eine Krankengymnastin -- tritt. Das gilt aber nicht für das Reiten. Nur durch diese Maßnahmen wird sichergestellt, daß die Ausübung eines Sports eindeutig die Bedeutung und Wirkung der therapeutischen Behandlung einer bestimmten Krankheit hat und die Wirkung der Sportausübung auf das Leiden geprüft werden kann. Das ist aber erforderlich, um im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erreichen, daß allein echte Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wie es dem § 33 EStG entspricht, nicht aber Aufwendungen, die auch der Erhaltung der Gesundheit dienlich sind und mehr oder weniger bei jedem Steuerpflichtigen anfallen.

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Diese Auffassung von den Voraussetzungen, unter denen Aufwendungen für die Ausübung eines Sports als Krankheitskosten angesehen werden können, werden gerade für das Reiten durch den vom Steuerpflichtigen angeführten Aufsatz von Dr. med. X bestätigt. Es wird dort ausgeführt, daß dann, wenn das therapeutische Reiten Heil und nicht Unheil bringen solle, es in unabdingbarer Voraussetzung in die Hand des erfahrenen Arztes gehöre. Eine Programmierung des therapeutischen Reitens ohne erfahrenen Arzt sei als Fahrlässigkeit und Unfug zu erachten und könne zu vermeidbaren Unfällen und Fehleinstellungen im einzelnen Krankheitsfall führen. Beim therapeutischen Reiten seien die Indikation und der Ablauf der Übung sowie die Erfolgsbeurteilung eine Aufgabe des Arztes.

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Diese Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für alle Sportarten. Der Ansicht des FG, für das Reiten als besonders aufwendige Sportart müßten besonders strenge Voraussetzungen gelten, folgt der Senat nicht.

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Er kann aber auch der Ansicht des Steuerpflichtigen nicht beipflichten, bei ihm als erfahrenem Reiter sei eine Beaufsichtigung überflüssig. Wer die Technik einer Sportart beherrscht, kann deshalb noch nicht ohne weiteres die Gegebenheiten ihrer Ausübung in bezug auf sein Leiden beurteilen. Hierzu ist grundsätzlich nur ein Arzt in der Lage.

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Es fehlt im Streitfall aber an der eindeutigen Feststellung dieser Voraussetzungen. Daß das FG sich mit der Bescheinigung vom 12. März 1952 nicht begnügt hat, ist schon im Hinblick auf deren Alter nicht zu beanstanden. Der Steuerpflichtige irrt mit seiner Ansicht, eine einmal vorgelegte ärztliche Bescheinigung genüge grundsätzlich, solange das FA nicht nachweise, daß sie unrichtig sei bzw. geworden sei. Der Gesundheitszustand eines Steuerpflichtigen kann sich ändern; insbesondere kann es erforderlich werden, gerade die Wirkung der sportlichen Betätigung auf das zu behandelnde Leiden zu überprüfen.

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Die Bescheinigung vom 17. August 1962 erfüllt die vorbezeichneten Voraussetzungen nicht, insbesondere weil sie jede Aussage darüber vermissen läßt, daß die Ausübung des Reitsports zur Behandlung des Leidens des Steuerpflichtigen eindeutig erforderlich ist. Das FG durfte sich aber mit der unzureichenden Bescheinigung nicht begnügen, sondern mußte gegebenenfalls ihre Ergänzung veranlassen.

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Insbesondere fehlt aber der -- nach der Vorentscheidung nicht entscheidungserhebliche -- Nachweis, daß ärztliche Anweisungen über Art und Umfang der Ausübung des Reitsports durch den Steuerpflichtigen vorliegen und daß der Reitsport unter ärztlicher Leitung und Aufsicht ausgeübt wurde. Das FG wird dies festzustellen haben. Kommt es zu dem Ergebnis, daß die letztgenannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so sind Feststellungen zu den erstgenannten Voraussetzungen entbehrlich.