Ermessen; Ermessensverletzung; Kapitalgesellschaft; Ausländischer Sitz; Abgabeverlangen; Eigentum; Inländische Mietwohngrundstücke

Rechtsgrundlage:

§ 167 Abs. 2 S. 1 AO

Fundstellen:

BFHE 115, 93 - 95

BStBl II 1975, 464

DB 1975, 915 (Volltext mit amtl. LS)

DStR 1975, 466 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz:

Eine Ermessensverletzung liegt nicht vor, wenn das Finanzamt von einer Kapitalgesellschaft, die ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz in der Schweiz hat, die Abgabe von Körperschaftsteuererklärungen deshalb verlangt, weil die Gesellschaft Eigentümerin inländischer Mietwohngrundstücke ist.

Tatbestand:

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- eine Kapitalgesellschaft schweizerischen Rechts -- hat in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) -- Inland -- weder eine Betriebstätte noch einen ständigen Vertreter. Sie ist Eigentümerin inländischen Grundvermögens, aus dem sie Mieteinnahmen bezieht, und besitzt nach Meinung des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) außerdem Kapitalvermögen, das durch inländischen Grundbesitz gesichert ist.

2

Mit Schreiben vom 12. Juni 1972 forderte das FA die Klägerin auf, Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 1969 bis 1971 bis spätestens zum 15. Juli 1972 abzugeben. Die Beschwerde und anschließende Klage, in welcher die Klägerin eine inländische Steuerpflicht und damit eine Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen unter Hinweis auf das Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 -- DBA-Schweiz 1959 -- (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) bestritt, hatten keinen Erfolg. Das FG begründete seine die Klage abweisende Entscheidung wie folgt:

3

Die Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärungen ergebe sich aus § 167 Abs. 2 AO. Das FA habe nach billigem Ermessen zu entscheiden, ob es jemanden zur Abgabe von Steuererklärungen auffordern wolle. Indessen könne von einem unsachgemäßen Gebrauch des dem FA eingeräumten Ermessens keine Rede sein, weil erhebliche Gesichtspunkte dafür sprächen, daß die Klägerin als Eigentümerin inländischen Grundbesitzes körperschaftsteuerpflichig sei. Bei der hier anzuwendenden isolierenden Betrachtungsweise dürften die im Ausland bestehenden Verhältnisse der Klägerin nicht dazu führen, daß inländische Einkünfte, die objektiv den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen seien, in Anwendung einer Subsidiaritätsklausel (§ 21 Abs. 3 EStG) den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet werden.

4

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts. Das FG sei von den Grundsätzen des Urteils des BFH vom 4. März 1970 I R 140/66 (BFHE 98, 420, BStBl II 1970, 428) abgewichen. In dieser Entscheidung sei klar ausgesprochen, daß die isolierende Betrachtungsweise nicht dazu führen könne, die auch im Ausland realisierten Tatbestandsmerkmale außer acht zu lassen. Sie sei eine Kapitalgesellschaft, die nur gewerbliche Einkünfte beziehen könne.

5

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung, die Beschwerdeentscheldung der OFD und die Verfügung des FA vom 12. Juni 1972 aufzuheben.

Entscheidungsgründe

6

Im vorliegenden Streitfall ist noch nicht abschließend über die Steuerpflicht der Klägerin zu entscheiden. Die von der Klägerin verlangten Körperschaftsteuererklärungen sollen erst die Grundlage für diese Entscheidung liefern. Nach § 167 Abs. 2 Satz 1 AO ist -- soweit wie hier in den Steuergesetzen nichts anderes bestimmt ist -- zur Abgabe einer Steuererklärung jeder verpflichtet, der dazu vom FA aufgefordert wird. Ob das FA eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung ergehen läßt, liegt in seinem Ermessen, das nach Recht und Billigkeit auszuüben ist. Die Gerichte sind nach § 102 FGO nur berechtigt zu prüfen, ob die Verwaltungsbehörde die ihr gesetzten Ermessensgrenzen überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das FG hat eine Ermessensverletzung im Streitfall zu Recht verneint. Eine Ermessensverletzung kann beispielsweise gegeben sein, wenn das FA eine Steuererklärung verlangt, obwohl klar und einwandfrei feststeht, daß eine Steuerpflicht nicht gegeben ist (BFH-Beschluß vom 11. Juni 1958 II 56/57 U. BFHE 67, 178, BStBl III 1958, 339). Eine Ermessensverletzung liegt demgegenüber nicht vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß der Aufgeforderte steuerpflichtig ist. In diesem Fall ist die Aufforderung des FA zur Abgabe der Steuererklärungen auch dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Auffassungen des Steuerpflichtigen und des FA über das Bestehen oder das Ausmaß einer Steuerpflicht auseinandergehen (BFH-Urteil vom 8. Juli 1964 I 424/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 33, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 167, Rechtsspruch 7). Ob eine Steuerschuld tatsächlich entstanden ist, soll andhand der Steuererklärungen erst ermittelt werden. Rechtliche Zweifel können nach den steuerlichen Verfahrensvorschriften nur im Veranlagungs- und gegebenenfalls im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren geklärt werden. Die Steuererklärungen sind die Grundlage dafür, daß über den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach verbindlich entschieden wird. Die Reichsabgabenordnung und ebenso die Finanzgerichtsordnung sehen keine Möglichkeit vor, daß über die Frage der Steuerpflicht isoliert in einem besonderen Verfahren entschieden wird.

7

Im Falle der Klägerin besteht die Möglichkeit, daß sie mindestens mit ihren inländischen Mieteinkünften körperschaftsteuerpflichtig ist. Als rechtliche Grundlage ihrer Steuerpflicht kommt § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 KStG auch für Körperschaften gilt, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, in Betracht; danach unterliegen die inländischen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Sinn des § 21 EStG der beschränkten Steuerpflicht. Nach Art. 2 Abs. 1 des für die Jahre 1969 bis 1971 noch geltenden DBA-Schweiz 1959 ist die Besteuerung unbeweglichen Vermögens und der Einkünfte daraus dem Staat zugewiesen, in dem sich dieses Vermögen befindet. In dem Schlußprotokoll ist ausdrücklich ausgesprochen, daß zum unbeweglichen Vermögen im Sinne des Art. 2 auch das unbewegliche Betriebsvermögen gehört. Es ist daher zweifelhaft, ob die Klägerin mit ihrer Rechtsauffassung durchdringen wird, diese Einkünfte seien im Rahmen ihres ausländischen Gewerbebetriebs angefallen und nach § 16 der Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln, deren Besteuerung der Schweiz zugewiesen ist. Das FA und mit ihm übereinstimmend das FG weisen nicht zu Unrecht auf die von der Rechtsprechung entwickelte sogenannte isolierende Betrachtungsweise hin, daß Mieteinkünfte, die ihrem objektiven Wesen nach zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des Einkommensteuergesetzes gehören, nicht allein deshalb den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen sind, weil sie in einem ausländischen Gewerbebetrieb angefallen sind. Da eine eindeutige Klärung dieser Frage erst im Veranlagungsverfahren und in einem etwaigen, sich anschließenden Rechtsmittelverfahren möglich ist, hat das FA ohne Ermessensverstoß die Klägerin zur Abgabe von Steuererklärungen aufgefordert. Es liegt ferner im Rahmen des Ermessens des FA, wenn es wegen der nichtüberschaubaren Verhältnisse die Aufforderung auf die drei zurückliegenden Veranlagungszeiträume erstreckt hat. Das FG hat nach alledem zu Recht die Klage als unbegründet zurückgewiesen.