Übergabevertrag; Gewinnanteil; Sonderausgaben; Mindestbetrag

Rechtsgrundlage:

§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971

Fundstellen:

BFHE 130, 524 - 528

BStBl II 1980, 575

DB 1980, 2168-2169 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1980, 2488 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz:

Bemessen sich die aufgrund eines Übergabevertrages zur Versorgung des Übergebers vereinbarten laufenden Zahlungen nach der Höhe eines Gewinns oder Gewinnanteils, so sind sie beim Verpflichteten eine als Sonderausgaben voll abziehbare dauernde Last. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn für die laufenden Zahlungen feste Mindestbeträge vereinbart sind.

Tatbestand:

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Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Ehemann (Kläger) ist Gesellschafter einer Personengesellschaft, an der neben zwei anderen Gesellschaftern auch seine Mutter beteiligt war. Diese trat durch Vertrag vom 5. Dezember 1971 ihren Gesellschaftsanteil nebst Sonderguthaben mit Wirkung vom 31. Dezember 1971 an den Kläger ab. In einem am selben Tage zwischen dem Kläger und seiner Mutter geschlossenen "Unterhaltsvertrag" verpflichtete sich der Kläger "als Entschädigung hierfür", an seine Mutter bis zum Lebensende Unterhalt in der Form zu leisten, daß diese Anspruch hat auf 10 % seines Gewinnanteils aus der Gesellschaft, mindestens jedoch auf

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a) einen Barbetrag von 1 000 DM monatlich,

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b) Übernahme der Prämienzahlungen für die bei Vertragsabschluß laufenden Versicherungen,

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c) Übernahme der durch Versicherungsleistungen nicht abgedeckten Krankheitskosten,

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d) Übernahme der aus den Unterhaltsleistungen zu entrichtenden Steuern.

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Für den monatlich im voraus zu zahlenden Mindestbarbetrag wurde eine am Lebenshaltungskostenindex ausgerichtete Wertsicherungsklausel vereinbart.

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Der Kläger begehrte bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr 1972, die in diesem Jahr aufgrund des Unterhaltsvertrages gegenüber seiner Mutter erbrachten Leistungen als dauernde Last voll zum Abzug als Sonderausgaben zuzulassen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah jedoch hinsichtlich der monatlichen Barbeträge eine Leibrente als gegeben an und ließ insoweit Sonderausgaben nur in Höhe des Ertragsanteils zum Abzug zu.

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Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß nicht eine Leibrente, sondern eine dauernde Last gegeben sei, wenn der Berechtigte zwar einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen habe, diese aber wesentlichen Schwankungen unterliegen könnten. Das sei der Fall, wenn die Leistungen von einer variablen Bemessungsgrundlage, z. B. wie im Streitfall von der Höhe eines gewerblichen Gewinns, abhängig seien. An dem für Leibrenten erforderlichen Merkmal der Gleichmäßigkeit fehle es aber auch dann, wenn eine Mindesthöhe der im übrigen von wechselnden wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängigen Leistungen vereinbart sei. Auch in Höhe des Mindestbetrages liege dann keine Leibrente vor, weil der jeweilige Einzelanspruch unter der Bedingung stehe, daß zur Zeit seiner Entstehung bestimmte wirtschaftliche Voraussetzungen erfüllt seien. - Es könne dahingestellt bleiben, ob - wie das FA meine - die für die Annahme einer dauernden Last erforderliche erhebliche Schwankungsmöglichkeit der wiederkehrenden Leistungen zu verneinen sei, wenn die gleichbleibenden Mindestleistungen so hoch bemessen seien, daß sie nach den Vorstellungen der Vertragsparteien oder nach der vorhersehbaren wirtschaftlichen Entwicklung niemals überschritten werden könnten. Denn ein solcher Sachverhalt liege hier nicht vor, wie sich aus einer Gegenüberstellung der in den Jahren 1968 bis 1974 erzielten Gewinnanteile und der in den Jahren 1972 bis 1974 zu erbringenden Mindestleistungen ergebe. Dieser Vergleich zeige, daß in einigen Jahren (1969, 1970, 1973) eine 10 %ige Beteiligung am Gewinnanteil nur geringfügig unter dem Betrag der Mindestleistung gelegen, gerade im Jahre des Vertragsabschlusses (1971) diesen aber sogar überstiegen habe.

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Das FG berücksichtigte somit auch die monatlichen Zahlungen in voller Höhe als Sonderausgaben und setzte die Einkommensteuer 1972 entsprechend niedriger fest.

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Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der geltend gemacht wird, die Vorentscheidung verstoße gegen § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1971 (im folgenden: EStG). Sie weiche von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, der in mehreren Entscheidungen Geldleistungen an übergebende Elternteile in Renten und dauernde Lasten aufgeteilt habe.

Entscheidungsgründe

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1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG können auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind noch mit Einkünften in Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Leibrenten können nur mit dem Ertragsanteil i. S. von § 22 Nr. 1 a EStG abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Ein Abzug entfällt außerdem nach § 12 Nr. 2 EStG bei freiwilligen Zuwendungen oder Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen.

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Im Streitfall hat der Kläger zwar Leistungen gegenüber einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, nämlich gegenüber seiner Mutter, erbracht. Mit Recht haben jedoch die Beteiligten und das FG - insoweit übereinstimmend - den Sonderausgabenabzug dem Grunde nach bejaht. Denn der Vertrag vom 5. Dezember 1971, auf dem die vom Kläger zu erbringenden Leistungen beruhen, ist ein sog. Übergabevertrag, bei dem die Abzugssperre des § 12 Nr. 2 EStG nicht eingreift. Zwar stehen sich hier Leistung (Abtretung des Gesellschaftsanteils durch die Mutter) und Gegenleistung (Übernahme der laufenden Verpflichtungen durch den Sohn) nicht ausgewogen gegenüber, so daß nicht von einem Veräußerungsvorgang ausgegangen werden kann. Aber die mit dem Vertrag bezweckte Versorgung der Mutter, beruht nicht auf der gesetzlichen Unterhaltspflicht, sondern darauf, daß der Kläger im Übergabevertrag Vermögensgegenstände in einem Wert erhalten hat, der im Vergleich zur übernommenen Versorgungsverpflichtung nicht unverhältnismäßig gering ist (vgl. Urteil des Senats vom 1. August 1975 VI R 48/73, BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881).

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2. Bei der Prüfung der Frage, ob im Streitfall die vom Kläger erbrachten Leistungen insgesamt oder teilweise als Leibrente oder dauernde Last zu beurteilen sind, ist von dem Begriff der Leibrente auszugehen, dessen Voraussetzungen nur erfüllt sind, wenn aufgrund eines dem Berechtigten eingeräumten Stammrechts regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe erbracht werden. Keine Leibrenten, sondern dauernde Lasten liegen daher z. B. vor, wenn den Leistungen das Merkmal der Gleichmäßigkeit fehlt. Das ist z. B. der Fall, wenn die Leistungen von den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen des Gebers oder Empfängers oder von einer variablen Bemessungsgrundlage abhängig und damit veränderbar sind (BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881). Als einen typischen Fall, in dem die für die Annahme einer Leibrente erforderliche Vorausbestimmbarkeit der Leistungen fehlt, hat die Rechtsprechung den Fall angesehen, daß der laufende Bezug sich nach einem betrieblichen Gewinn oder nach dem Umsatz richtet (vgl. die BFH-Urteile vom 3. Dezember 1964 IV 99/62 U, BFHE 81, 458, BStBl III 1965, 166; vom 10. Oktober 1963 VI 115/61 U, BFHE 77, 738, BStBl III 1963, 592, und vom 27. Mai 1964 I 379/61 U, BFHE 80, 1, BStBl III 1964, 475).

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Hiervon ausgehend spricht im Streitfall der Umstand, daß der Kläger sich zu laufenden Versorgungsleistungen in Höhe von 10 % seines Gewinnanteils aus der Personengesellschaft verpflichtet hat, für die Annahme einer dauernden Last. Daran ändert sich entgegen der Auffassung des FA auch nichts dadurch, daß die von einer schwankenden Bemessungsgrundlage abhängigen wiederkehrenden Leistungen in Mindestbeträgen fixiert sind.

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a) Es trifft zwar zu, daß nach der Rechtsprechung dann, wenn aufgrund eines Übergabevertrages verschiedenartige Leistungen geschuldet werden, grundsätzlich bei jeder Leistung gesondert zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Annahme einer nur mit dem Ertragsanteil abzugsfähigen Leibrente oder einer voll abzugsfähigen dauernden Last gegeben sind. Eine Zusammenfassung kommt allenfalls wegen Geringfügigkeit einer von mehreren oder aufgrund eines besonders engen Zusammenhangs der verschiedenartigen Versorgungsleistungen in Betracht (BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881). So hat denn im Streitfall auch das FA, nachdem es die Gewinnabhängigkeit der Leistungen für unbeachtlich gehalten hat, von seinem Standpunkt aus zu Recht die einzelnen eingangs mit den Buchstaben a) bis d) bezeichneten Leistungen gesondert untersucht. Daß es sich hierbei nicht, wie in den häufigsten Fällen der getrennten Betrachtungsweise, um Naturalleistungen (vgl. z. B. BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881, und Urteil des Senats vom 2. Dezember 1966 VI 365/65, BFHE 87, 563, BStBl III 1967, 243), sondern ebenfalls, wie bei den monatlichen Zahlungen um Geldleistungen gehandelt hat, wäre unbeachtlich, denn auch reine Geldleistungen können gesondert und unterschiedlich beurteilt werden mit dem Ergebnis, daß teils eine Leibrente, teils eine dauernde Last angenommen werden kann (vgl. Beschluß des Senats vom 20. Mai 1976 VI B 138/75, BFHE 119, 73).

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b) Diese gesonderte Beurteilung der einzelnen Mindestleistungen kann jedoch nur Platz greifen, wenn man mit dem FA die in erster Linie vereinbarte Gewinnabhängigkeit der Leistungen für unbeachtlich hält. Dem ist das FG - wie anschließend zu erörtern ist - mit Recht nicht gefolgt. Damit ist es auch nicht, wie das FA meint, von der die gesonderte Prüfung verschiedenartiger Versorgungsleistungen für erforderlich haltenden Rechtsprechung des BFH abgewichen. Denn wie der Kläger zutreffend hervorhebt, geht es im Streitfall, wenn die Gewinnbezugnahme als Bemessungsgrundlage für die Gesamtleistung beachtlich ist, nicht um die gesonderte Beurteilung mehrerer, verschiedenartiger Einzelleistungen, sondern um die Gesamtbeurteilung einer einheitlichen Leistung.

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c) Die Gewinnabhängigkeit der im Vertrag vom 5. Dezember 1971 vereinbarten Versorgungleistungen ist im Streitfall beachtlich und damit für die steuerrechtliche Qualifizierung dieser Leistungen maßgeblich. Sie ist vertraglich vereinbart und beinhaltet jedenfalls die Möglichkeit einer Änderung der laufenden Zahlungen, die damit in ihrer künftigen Höhe nicht vorhersehbar sind.

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Diese Möglichkeit kann in Übereinstimmung mit dem FG nicht etwa deshalb verneint werden, weil die Mindestleistungen als so hoch angesetzt erscheinen, daß sie bei wirklichkeitsnaher Betrachtung kaum überschritten werden könnten. Wie das FG in einer von der Revision nicht angegriffenen Weise festgestellt hat, entsprachen die bei Vertragsabschluß und auch im Zweitjahr zu erwartenden Mindestleistungen in etwa dem vereinbarten Anteil am Gewinnanteil. Es war und ist daher in keiner Weise vorhersehbar, daß auch in Zukunft immer nur die Mindestleistungen zu erbringen sein werden. Ist damit aber eine Schwankungsmöglichkeit über die Mindestleistung hinaus nach oben (und dann auch wieder zurück) vertraglich vorgesehen und tatsächlich nicht ausgeschlossen, dann ist - jedenfalls wenn es sich nicht nur um eine rein theoretische Schwankungsmöglichkeit handelt - die Gesamtleistung als dauernde Last zu beurteilen. Hierbei kann dann auch nicht, wie der Senat bereits im Urteil vom 11. August 1967 VI R 80/66 (BFHE 89, 443, BStBl III 1967, 699) ausgeführt hat, in Höhe der Mindestleistungen eine "Mindestleibrente" angenommen werden (vgl. auch Jansen/Wrede, Renten, Raten, dauernde Lasten, 7. Aufl., S. 48). Der Umstand, daß die wiederkehrenden Bezüge der Höhe nach unbestimmt sind, betrifft die Gesamtleistung, der damit das für Leibrenten erforderliche Merkmal der Gleichmäßigkeit fehlt. Als dauernde Last ist sie nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG voll abziehbar.