Rechtsverfolgung; Armenrechtsverfahren; Armenrechtsantrag; Prozeßkostenhilfe

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Nürnberg

Rechtsgrundlagen:

§ 142 Abs. 1 S. 1 FGO

§ 114 Abs. 1 ZPO

Fundstellen:

BFHE 133, 253 - 255

BStBl II 1981, 580

Amtlicher Leitsatz:

Hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung i. S. des § 114 ZPO können auch dann zu bejahen sein, wenn es sich in der Hauptsache um schwierige Fragen handelt, die im Armenrechtsverfahren noch nicht abschließend beurteilt werden können.

Tatbestand:

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Dem Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) wurde im Klageverfahren betreffend die Einkommensteuer 1966, 1967, 1969 und 1972 und die Umsatzsteuer 1968 bis 1972 das Armenrecht bewilligt und ihm Rechtsanwalt und Steuerberater D für das Klageverfahren als Prozeßvertreter beigeordnet (vgl. Beschlüsse des Finanzgerichts - FG Nürnberg vom 6. Juni 1975 III 194/74, und vom 1. August 1975 III 193/74).

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In der Hauptsache wurde die Klage, soweit sie die vor dem erkennenden Senat anhängige Einkommensteuer 1966 und 1969 sowie die Umsatzsteuer 1969 betrifft, als unbegründet abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozeßvertreter des Klägers am 2. Juni 1977 zugestellt.

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Gegen dieses Urteil hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 1. Juli 1977, eingegangen beim FG am 4. Juli 1977, Revision eingelegt. Er hat gleichzeitig gebeten, dem Kläger für das Revisionsverfahren das Armenrecht zu bewilligen; dazu hat er bemerkt, daß er die Begründung dieses Antrags gemeinsam mit der Revisionsbegründung vorlegen werde.

Entscheidungsgründe

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Über die Revision des Klägers hat der Senat im Urteil vom heutigen Tage entschieden. Er hat in der Einkommensteuersache 1966 die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Hinsichtlich der Einkommensteuer 1969 und der Umsatzsteuer 1969 hat der Senat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

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Der Armenrechtsantrag hat Erfolg.

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1. Die Vorschriften der §§ 114 bis 127 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch für das finanzgerichtliche Verfahren gelten, sind durch das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl I, 677) neu gefaßt worden. Das Gesetz ist am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Jedoch gilt nach Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes folgende Übergangsregelung:

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Die Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe sind nicht anzuwenden in Verfahren, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig geworden sind und in denen nach den bisher geltenden Vorschriften Armenrecht bewilligt worden ist. In diesen Verfahren sind die bisher geltenden Vorschriften anzuwenden.

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Entscheidend für die Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen über die Prozeßkostenhilfe ist demnach, daß bei ihrem Inkrafttreten in anhängigen Verfahren das Armenrecht noch nicht bewilligt war. Die bisherigen Vorschriften bleiben hingegen anwendbar, wenn in einem schon vor Inkrafttreten der Neuregelung anhängigen Verfahren das Armenrecht bewilligt war. Danach sind die bisherigen Vorschriften über das Armenrecht auch dann anzuwenden, wenn ein Prozeß vor Inkrafttreten der Neuregelung vor einer höheren Instanz anhängig wurde, auch wenn erst nach dem 1. Januar 1981 durch diese höhere Instanz über die Bewilligung des Armenrechts und in der Hauptsache entschieden wird, sofern das Armenrecht schon in der vorhergehenden Instanz bewilligt worden war; denn das betreffende Verfahren bleibt im Sinne des Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe, auch wenn es vor einer höheren Instanz anhängig wird, dasselbe Verfahren. Ein solcher Fall ist in der vorliegenden Streitsache gegeben (vgl. u. a. Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 11. Aufl., Vorbemerkung zu § 114 Anm. zu Art. 5 der Übergangsregelung).

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2. Das Armenrechtsgesuch ist nicht schon deshalb abzulehnen, weil der Antragsteller das Armutszeugnis und die übrigen Unterlagen zum Nachweis seiner Armut nicht innerhalb der gesetzlichen Revisionsbegründungsfrist, sondern erst mit dem Ablauf der zweimal verlängerten Begründungsfrist vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschluß vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386). Da der Antragsteller neben dem Armenrechtsgesuch durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt form- und fristgerecht Revision einlegen ließ und diese auch fristgerecht begründete, hat die Wahrung der Rechtsmittelfrist für das Armenrechtsgesuch keine entscheidungserhebliche Bedeutung.

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3. Dem Kläger war das Armenrecht auch für das Revisionsverfahren zu bewilligen.

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Einer Partei, die außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und für ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, ist auf Antrag das Armenrecht zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 142 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Der Kläger hat das nach § 118 Abs. 2 ZPO erforderliche Zeugnis über das Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten vorgelegt und auch sonst dargelegt, daß er im Sinne des Gesetzes arm ist.

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Auch die vom Gesetz geforderten hinreichenden Erfolgsaussichten sind im Streitfall zu bejahen. Der Senat hat zwar in der Hauptsache durch Urteil vom heutigen Tage nur hinsichtlich der Einkommensteuer 1966 die Vorentscheidung aufgehoben, hingegen hinsichtlich der Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1969 die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Das Armenrechtsverfahren ist ein summarisches Verfahren, das die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen kann. Hinreichende Erfolgsaussichten sind schon dann gegeben, wenn für sie bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Diese kann zu bejahen sein, wenn es sich in der Hauptsache um schwierige Fragen handelt, über die im Armenrechtsverfahren noch keine abschließende Beurteilung möglich ist, und die Einwände des Klägers nicht von vornherein als aussichtslos erscheinen (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 38. Aufl., Anm. C zu § 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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Um eine solche Frage geht es bei der vom Kläger angegriffenen Gesamtgeldverkehrsrechnung des Beklagten, Revisionsbeklagten und Antragsgegners (Finanzamt - FA -) für den Veranlagungszeitraum 1969, die zu den Zuschätzungen beim Gewinn und beim Umsatz für 1969 geführt haben. Die substantiiert dargelegten Einwände des Klägers betreffen schwierige Fragen der Gewinnermittlung nach dieser Schätzungs- und Verprobungsmethode, deren Prüfung im Armenrechtsverfahren zu keinem eindeutigen Ergebnis führen kann; sie erscheinen bei überschlägiger Beurteilung nicht von vornherein aussichtslos.

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Hinsichtlich der Einkommensteuer 1966 ist schon bei summarischer Prüfung erkennbar, daß dem FG bei Anwendung der Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) ein Fehler bezüglich der rechtlichen Tragweite eines Unterbrechungstatbestandes im Sinne des § 147 AO unterlaufen ist, da es die Beschränkung der Unterbrechungswirkung in § 147 Abs. 3 AOübersehen hat. Die Zurückverweisung der Einkommensteuersache 1966 an das FG eröffnet die Möglichkeit des Erfolges, wenn sich herausstellt, daß die vom FA geltend gemachte zehnjährige Verjährungsfrist für hinterzogene Steuerbeträge anstelle der vom FG geprüften normalen fünfjährigen Frist hier nicht in Betracht kommt.

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Infolgedessen waren auch für die Einkommensteuer 1966 die hinreichenden Erfolgsaussichten zu bejahen.

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Die Bewilligung des Armenrechts erfordert in der Revisionsinstanz gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs auch die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten.