Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheids

Fundstelle:

BFH/NV 1985, 9

Tatbestand

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Der Kläger zahlte seinen Aushilfskräften in den Jahren 1975 bis 1978 pauschalierte Nettolöhne unter prozentualem Einschluß der Zulage für Arbeitnehmer in Berlin (West) - Berlinzulage - aus. Die Empfangsbescheinigungen hierfür lauteten beispielsweise wie folgt:

"Für Aushilfsarbeiten habe ich heute folgendes Entgelt erhalten: 9 Std. à DM 7,- = DM 63,- einschl. Berlinzulage 8 %. Dieser Betrag wurde brutto ausgezahlt. Da es sich um eine Nebenbeschäftigung handelt, die auf höchstens 75 Tage im Jahr beschränkt ist, unterliegt diese Tätigkeit nicht der Sozialversicherungspflicht. Ich versichere, daß ich diese Tätigkeit nicht berufsmäßig ausübe . . ."

2

Das Finanzamt (FA) beanstandete bei einer Lohnsteuerprüfung im Jahre 1979 diese Abrechnungsmethode, weil der Arbeitslohn und die Berlinzulage in der Quittung nicht getrennt ausgewiesen seien. Der Kläger habe die den Arbeitnehmern zugedachte Vergünstigung erst nachträglich errechnet und von der abzuführenden Lohnsteuer abgesetzt. Die Arbeitnehmer seien nicht in den Genuß der Berlinzulage gelangt. Das FA erließ deshalb für die Jahre 1975 bis 1978 einen auf § 29 Abs. 4 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) gestützten Haftungsbescheid gegen den Kläger. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.

3

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte im wesentlichen aus: Zwar lasse sich der Anspruch des FA nicht aus der Haftung des Arbeitgebers für zu Unrecht bezahlte Zulagen herleiten; die Inanspruchnahme des Klägers beruhe vielmehr auf den §§ 40a, 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG), da er die von ihm abzuführende Lohnsteuer nicht um die pauschal ermittelte Berlinzulage habe kürzen dürfen. Die fehlerhafte Begründung des Bescheids verletze den Kläger jedoch nicht in seinen Rechten (Hinweis auf § 128 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Senat erkenne Nettolohnvereinbarungen auch für das BerlinFG an, wenn der Arbeitgeber den Nachweis einer den Nettolohn einschließenden Berlinzulage führe und er dem sich aus § 28 Abs. 6 Satz 3 BerlinFG i.d.F. vom 18. Februar 1976 - § 28 Abs. 5 Satz 4 BerlinFG i.d.F. vom 22. Dezember 1978 (BGBl I 1976, 353; 1979, 1) ergebenden Erfordernis eines getrennten Ausweises von Arbeitslohn und Zulage in der dem Arbeitnehmer zu erteilenden Lohnabrechnung genüge. Da die prozentuale Bezifferung des Zulagenanspruchs in den vom Kläger vorformulierten Lohnquittungen der erforderlichen betragsmäßigen Aufgliederung nicht gleichstehe, hätte die Lohnsteuer für die Nettolöhne ungekürzt abgeführt werden müssen. Es spreche danach vieles dafür, daß die vom Kläger gezahlten Beträge zumindest aus zulagerechtlicher Sicht in voller Höhe Arbeitslohn darstellten.Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 28 Abs. 6 Satz 3 BerlinFG (jetzt § 28 Abs. 5 Satz 4 BerlinFG). Er meint, wenn diese Vorschrift die getrennte Ausweisung von Arbeitslohn und Zulage verlange, so könne diese nichts anderes bedeuten, als daß für alle Beteiligten - auch für das FA - die Zuwendung der Zulage eindeutig ersichtlich sein müsse. Das sei hier wegen der in der Quittung gewählten Formulierung der Fall.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids aus formellen Gründen.

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Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall kein Haftungsbescheid ergehen durfte, weil § 29 Abs. 4 Satz 1 BerlinFG als Grundlage für den angefochtenen Bescheid nicht in Betracht kommt. Ausweislich des Lohnsteuerprüfungsberichts, auf den im angefochtenen Bescheid zur näheren Begründung verwiesen wurde, ist das FA selbst davon ausgegangen, daß den Arbeitnehmern des Klägers überhaupt keine Berlinzulage gewährt worden ist, der Kläger vielmehr - lediglich - die von ihm geschuldete Lohnsteuer zu Unrecht um die vermeintlichen Zulagen gekürzt hat. § 29 Abs. 4 Satz 1 BerlinFG, der die rechtswidrige Zahlung von Zulagen voraussetzt, ist deshalb nach der eigenen Auffassung des FA nicht erfüllt. Das FA wollte gegen den Kläger vielmehr einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO 1977) geltend machen, der sich nach Auffassung des FA daraus ergab, daß der Kläger die von ihm für seine sämtlichen Arbeitnehmer an das FA abzuführenden Lohnsteuerbeträge um Zulagebeträge deshalb zu Unrecht gekürzt hatte (jetzt § 28 Abs. 5 Sätze 5 und 6 BerlinFG), weil die Arbeitnehmer nicht in den Genuß der Berlinzulage gelangt waren. Für einen Haftungsbescheid, der ein Einstehenmüssen für fremde Schuld voraussetzt, war zur Geltendmachung dieses Rückforderungsanspruchs kein Raum. Die Ausführungen, mit denen der Senat es ausgeschlossen hat, daß ein Anspruch auf pauschale Lohnsteuer durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472), gelten insoweit entsprechend.

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Entgegen der Auffassung des FG ist der angefochtene Bescheid nicht lediglich fehlerhaft begründet. Vielmehr ist er durch seine Überschrift und seinen Tenor, der eindeutig eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner erkennen läßt, als Haftungsbescheid ausgewiesen. Im übrigen hat der Senat durch Urteil vom 15. März 1985 VI R 30/81 BFHE 143, 226 entschieden, daß ein Bescheid, der nach seiner Überschrift und seinem Tenor als Haftungsbescheid zu qualifizieren ist, aus dessen Begründung sich jedoch ergibt, daß das FA pauschale Lohnsteuern nachfordern wollte, rechtswidrig ist, weil der Wille des FA nicht eindeutig genug zum Ausdruck kommt. Das gilt hier entsprechend.

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Auch eine Umdeutung (§ 128 AO 1977) kommt in Fällen dieser Art nicht in Betracht. Wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 29. April 1983 VI S 10/82 (BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517) dargelegt hat, scheidet die Umdeutung eines Haftungsbescheids in einen Steuerbescheid aus, weil beide Bescheide auf verschiedene Ziele gerichtet sind. Während der Steuerpflichtige nämlich durch einen Haftungsbescheid für die Steuerschuld eines anderen in Anspruch genommen wird, dient der Steuerbescheid der Festsetzung einer Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner. Diese Grundsätze gelten im vorliegenden Fall entsprechend.