Richterablehung wegen der Besorgnis der Befangenheit

Fundstelle:

BFH/NV 1986, 551

Tatbestand

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In dem beim Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptsacheverfahren ist streitig, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) verpflichtet ist, zur Berücksichtigung eines geltend gemachten Werbungskostenüberschusses aus Vermietung und Verpachtung die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für das Streitjahr 1979 zur Einkommensteuer zu veranlagen. Nach Auffassung des FA stehen den Klägern die erhöhten Absetzungen nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht zu, da sie die von ihnen genutzte Eigentumswohnung nicht entgeltlich erworben hätten.

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Am 22. Oktober 1982 fand eine Erörterung der Streitsache mit dem Berichterstatter, Richter am FG X statt, an dem für die Kläger deren Prozeßbevollmächtigter teilnahm. Die Sitzungsniederschrift lautet wie folgt: "Der Sach- und Streitstand wurde mit den Beteiligten erörtert. Der Berichterstatter legte die Rechtslage dar. Er vertrat die Auffassung, die Klage werde voraussichtlich keinen Erfolg haben, da ein Anspruch aus § 951 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), auf den die Kläger die Entgeltlichkeit des Erwerbs stützen, nicht gegeben sei. Die Kläger haben die Aufwendungen auf das Gebäude nicht für die Mutter, sondern von vornherein für sich gemacht, sie haben also auf einen evtl. Anspruch von Anfang an verzichtet. Der Klägervertreter erklärte, er halte seinen Klageantrag und seine Klagebegründung aufrecht. Der Klägervertreter beantragte, den Berichterstatter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, weil er geäußert habe, er kenne sich im Zivilrecht besser aus als der Prozeßvertreter."

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Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1982 wiederholte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Ablehnungsantrag und wies darauf hin, daß die Ablehnung im Namen der Kläger erfolge. Er führte ergänzend aus, der Berichterstatter habe seine Ausführungen zur Rechtslage wie folgt beantwortet: "Ich habe auf dem Gebiete des Zivilrechts mehr Durchblick als Sie." Auf seine Bitte, diese Äußerung zurückzunehmen, habe er geantwortet: "Dazu gibt es keine Veranlassung. Das ist schon seit Jahren so. Ich kann mir diese Bemerkung erlauben." Daraufhin habe er erklärt, er lehne den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und beantragt, die vorstehenden Äußerungen des Berichterstatters und den Ablehnungsantrag zu protokollieren. Der Berichterstatter habe jedoch die Verhandlung fortgesetzt und erklärt, er (Prozeßbevollmächtigter) könne das schriftlich tun. Danach habe der Berichterstatter nach den Anträgen gefragt. Der Ablehnungsantrag sei erst nach seinen wiederholten Bitten in das Protokoll aufgenommen worden.

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Der abgelehnte Richter hat sich zum Ablehnungsantrag wie folgt dienstlich geäußert: "Es trifft zu, daß ich im Erörterungstermin vom 22. Oktober 1982 dem Prozeßvertreter gegenüber geäußert habe, ich kenne mich im Zivilrecht besser aus als er. Diese Erklärung steht im Zusammenhang mit dem Rechtsgespräch, das ich mit ihm über die Frage geführt habe, ob den Klägern ein Anspruch aus § 951 BGB zustehe. Ich war der Auffassung, dies sei nicht der Fall, da sie die Aufwendungen nicht für ihre Mutter, sondern von vornherein für sich selbst gemacht hätten. Darauf erwiderte der Prozeßvertreter, dies könne nicht zutreffen; der Anspruch entstehe kraft Gesetzes und sei vom Willen der Parteien unabhängig. Dieser Ansicht habe ich widersprochen und erklärt, was oben ausgeführt ist. Die - überflüssige - Äußerung sollte lediglich zum Ausdruck bringen, daß mich die Ausführungen des Prozeßvertreters nicht überzeugt haben und ich an meiner Rechtsansicht festhalte.

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Es ist auch zutreffend, daß ich erklärt habe, es bestehe keine Veranlassung, meine Äußerung zurückzunehmen. Weitere Erklärungen, insbesondere die, die der Prozeßvertreter als Zitat wiedergibt, habe ich, soweit ich mich erinnere, nicht abgegeben . . ."

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Das FG wies die Richterablehnung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus, obgleich der Antrag namens der Kläger gestellt worden sei, handele es sich um ein unzulässiges Ablehnungsgesuch des Prozeßbevollmächtigten selbst. Es sei davon auszugehen, daß sich der Prozeßvertreter von dem abgelehnten Richter persönlich und in seiner Stellung als Rechtsanwalt angegriffen gefühlt, also für seine Person die Besorgnis der Befangenheit des Richters erklärt habe. Das ergebe sich deutlich aus dem Schriftsatz vom 28. Oktober 1982, in dem u. a. ausgeführt ist: "Der Unterzeichner ist seit etwas mehr als acht Jahren als Anwalt zugelassen und tätig. Er hat in dieser Zeit noch nie erlebt, daß ein Richter eine entsprechende unsachliche, herabsetzende und im Verständnis des Unterzeichners beleidigende Äußerung zu einem Rechtsanwalt gemacht hätte. Dabei sei auch die Anmerkung erlaubt, daß der Unterzeichner den Richter vorher nach seiner Erinnerung nie gesehen hat." Soweit Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift gerügt werde, bestehe die Möglichkeit der Protokollberichtigung (§ 94 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 164 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

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Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, lassen die Kläger vortragen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Ablehnungsantrag nicht für sich gestellt. Hätte er etwas für sich unternehmen wollen, so hätte er Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den abgelehnten Richter erhoben. Die Äußerungen des abgelehnten Richters seien eine Beleidigung des Prozeßbevollmächtigten. Dies stelle einen Ablehnungsgrund für die Partei dar.

Entscheidungsgründe

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Die Beschwerde ist begründet. Die Äußerungen des Richters am FG im Erörterungstermin vom 22. Oktober 1982 sind geeignet, bei den Klägern Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit auszulösen.

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Einer Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist stattzugeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtung, davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12).

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Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Ablehnung immer nur die Prozeßpartei selbst geltend machen kann, und zwar aus einem Anlaß, der ihr einen Grund gibt, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. § 42 Abs. 3 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte der Partei hat aus Gründen seiner Person kein Ablehnungsrecht. Allerdings kann auch ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten einer Partei und einem Richter ausnahmsweise die Ablehnung des Richters durch die Partei begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten auch der Prozeßpartei gegenüber irgendwie in Erscheinung tritt. Es kommt darauf an, ob die Partei Anlaß zu der Besorgnis haben kann, der Richter werde in dem konkreten Verfahren sein persönliches Verhältnis zu dem Prozeßbevollmächtigten nicht hinreichend von dem konkreten Rechtsstreit trennen können (vgl. Beschluß in BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, mit weiteren Rechtsprechungs- und Schrifttumshinweisen). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

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Entgegen der Auffassung des FG kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Ablehnungsantrag nicht für diese, sondern für sich gestellt hat. Erklärungen eines Prozeßvertreters gegenüber dem Gericht werden in der Regel im Namen des Mandanten abgegeben. Zwar hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger sein Ablehnungsgesuch mit dem Verhalten des Berichterstatters ihm gegenüber begründet und in seinem Schriftsatz vom 28. Oktober 1982 darauf hingewiesen, wie unsachlich, herabsetzend und beleidigend die Äußerung des Berichterstatters zu einem Rechtsanwalt gewesen sei. Diese Umstände reichen jedoch nicht aus, das Ablehnungsgesuch als vom Prozeßbevollmächtigten im eigenen Namen gestellt anzusehen, zumal der Prozeßbevollmächtigte in demselben Schriftsatz ausdrücklich hervorgehoben hat, daß die Ablehnung im Namen der Kläger erfolge.

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Der Senat kann offenlassen, ob die Äußerungen des Berichterstatters eine Beleidigung des Prozeßbevollmächtigten darstellen. Sie sind jedenfalls - auch unter Berücksichtigung der Tätigkeit des Berichterstatters als Hochschullehrer u. a. auf dem Gebiet des Zivilrechts - unsachlich. Die unsachliche und beharrliche Abwertung der juristischen Kenntnisse des Prozeßbevollmächtigten der Kläger rechtfertigt die Besorgnis der Kläger, der Berichterstatter werde den Rechtsstreit nicht mehr ausschließlich unter sachlichen Gesichtspunkten entscheiden. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten ist die Klärung der zivilrechtlichen Vorfrage für die Entscheidung erheblich. Der Berichterstatter hielt die Klage unter Zugrundelegung seiner zivilrechtlichen Beurteilung für unbegründet. Da er dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger erklärte, er verstehe mehr vom Zivilrecht als jener und insbesondere sich weigerte, diese Äußerung zurückzunehmen, konnten die Kläger bei vernünftiger, objektiver Betrachtung annehmen, der Berichterstatter werde die zivilrechtliche Vorfrage nicht mehr unvoreingenommen beurteilen. Die Kläger hatten unter diesen Umständen Grund zur Besorgnis, die Überzeugung des Berichterstatters von der Richtigkeit seiner Antwort auf die maßgebende zuvilrechtliche Vorfrage und seine Meinung über den gebotenen Verfahrensausgang seien so festgefügt, daß er den Ergebnissen des weiteren Verfahrens bis zur Entscheidung statt mit einer vorläufigen mit einer endgültigen Beurteilung gegenüberstehen werde (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).