Verwaltungsakt; Bekanntgabe; Notwendige Voraussetzung; Wille; Zuständiger Bediensteter

Rechtsgrundlage:

§ 122 AO

Fundstellen:

BFHE 147, 205 - 208

BStBl II 1986, 832

NVwZ 1987, 632 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz:

Für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ist die Bekanntgabe notwendige Voraussetzung. Sie setzt den Bekanntgabewillen des für den Erlaß des Verwaltungsaktes zuständigen Bediensteten voraus.

Tatbestand:

1

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Im Streitjahr 1980 war der Kläger - ein Soldat - für bestimmte Zeitspannen in die USA abkommandiert worden. Die Klägerin blieb in dieser Zeit in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zurück. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger u. a. wegen der Abkommandierungen Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen in Höhe von 6 707 DM geltend. Der zuständige Bearbeiter des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) hakte diesen Betrag in der Einkommensteuererklärung ab. Diese diente zugleich als Eingabewertbogen für das Rechenzentrum zur Erstellung des Einkommensteuerbescheides. Das Rechenzentrum führte die Berechnungen durch und übersandte dem FA den in einem Briefumschlag enthaltenen, auf den 2. Juli 1981 vordatierten Einkommensteuerbescheid zusammen mit einer für die Akten des FA bestimmten Durchschrift. Wegen der nach der Berechnung des Rechenzentrums vorgesehenen Steuererstattung von über 3 000 DM wurde der Fall außerdem in eine Hinweisliste aufgenommen, aufgrund derer der zuständige Sachgebietsleiter die Einkommensteuerveranlagung zu überprüfen hatte. Dieser vermerkte auf der fü die Akten bestimmten Durchschrift: "Abkommandierung vom 25. 3. - 3. 7. 80. Aufwendungen für Dienstreisen von 6 707,- DM (nach Abzug der steuerfreien Entschädigungen) geltend gemacht... Kosten können nur... für doppelte Haushaltsführung angesetzt werden... Fall stoppen! Zurück an Feststeller. In Erst.-Liste streichen: erl." Es folgt dann das Namenszeichen des Sachgebietsleiters mit dem Datum 25. Juni 1981.

2

Der Sachgebietsleiter leitete den im Briefumschlag befindlichen Bescheid und die mit der Verfügung versehene Durchschrift an die zuständige Zentralstelle des FA weiter, die dann zwar die Durchschrift an den Feststeller weitergab, den im Umschlag befindlichen Bescheid jedoch trotz der Verfügung des Sachgebietsleiters am 2. Juli 1981 an die Kläger absandte. Vom Feststeller, der den Vorgang zur erneuten Bearbeitung erhalten hatte, ging die Einkommensteuererklärung (gleichzeitig Eingabewertbogen) wieder an das Rechenzentrum, das mit Datum vom 29. Juli 1981 einen neuen Bescheid ausdruckte. In diesem zweiten Bescheid sind keine Werbungskosten für die USA-Aufenthalte berücksichtigt, da die vom Arbeitgeber erstatteten Beträge die bei doppelter Haushaltsführung anzuerkennenden Beträge übersteigen würden.

3

Nach erfolglosem Einspruch gegen den zweiten Bescheid vom 29. Juli 1981 gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und hob diesen Bescheid auf. Das FA habe den angefochtenen zweiten Bescheid nicht erlassen dürfen, denn entgegen der Ansicht des FA sei der erste Bescheid wirksam geworden. Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) sei der nach § 122 Abs. 1 AO 1977 bekanntgegebene Bescheid. Dieser werde nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben werde. Der erste Bescheid sei den Klägern unstreitig bekanntgegeben worden und damit mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam. Daß der zuständige Sachgebietsleiter den Bescheid nicht habe bekanntgeben wollen, stehe der Wirksamkeit nicht entgegen. Das FG ließ in seiner Entscheidung dahingestellt, ob ein Verwaltungsakt nur wirksam sei, wenn er mit Willen der Behörde bekanntgegeben werde. Denn der erste Bescheid sei mit Wissen und Wollen der für die Bekanntgabe zuständigen Stelle, der Zentralstelle des FA, bekanntgegeben worden. Daß die Zentralstelle den Bescheid gegen den Willen des für die Steuerfestsetzung zuständigen Sachgebietsleiters abgesandt habe, beruhe auf einem behördeninternen Versehen, das in deren Risikobereich falle. Auch lasse sich der angefochtene zweite Bescheid nicht als Berichtigungsbescheid nach § 129 AO 1977 aufrechterhalten, da der erste Bescheid keine offenbare Unrichtigkeit enthalte.

4

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 124 AO 1977. Ein Verwaltungsakt könne erst entstehen und wirksam bekanntgegeben werden, wenn innerhalb der Behörde ein auf Erlaß des Verwaltungsaktes gerichteter Wille des hierfür verantwortlichen Bediensteten vorhanden sei. Fehle ein solcher Wille, so handle es sich um einen sog. Nichtakt, der auch dann keine Wirksamkeit erlange, wenn er ordnungsgemäß bekanntgegeben werde. Die Willensbildung erfolge in der Regel durch die abschließende Zeichnung einer internen Aktenverfügung. Durch die Anordnung des zuständigen Sachgebietsleiters sei die interne Aktenverfügung aufgehoben worden, und es sei wieder ein "Nichtakt" entstanden. Dieser "Nichtakt" habe aufgrund des Versandes durch die zwar für die technische Abwicklung, nicht aber für die Steuerfestsetzung zuständige Zentralstelle nicht mehr wirksam bekanntgegeben werden können.

5

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Kläger haben sich zur Revision des FA inhaltlich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

7

1. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz hat der "erste Bescheid" vom 2. Juli 1981 keine Wirksamkeit erlangt. Das FA war daher nicht gehindert, die Steuern mit dem angefochtenen Steuerbescheid vom 29. Juli 1981 festzusetzen.

8

a) Nach § 155 Abs. 1 AO 1977 werden Steuern regelmäßig durch Steuerbescheid festgesetzt. Steuerbescheid ist der nach § 122 Abs. 1 AO 1977 bekanntgegebene Verwaltungsakt. Für dessen Wirksamkeit ist nach § 124 Abs. 1 AO 1977 die Bekanntgabe notwendige Voraussetzung. Sie setzt begrifflich den Willen der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde voraus, diesen dem jeweils Betroffenen zur Kenntnis zu bringen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 122 AO 1977 Tz. 1 und § 155 AO 1977 Tz. 7; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 122 Anm. 2; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 122 Rz. 3; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., § 41 Tz. 23). Ein ohne Bekanntgabewillen der Behörde bekanntgewordener Verwaltungsakt erlangt daher keine Wirksamkeit (vgl. Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts - BayObLG - vom 16. Dezember 1985 RReg. 2 Z 28/85, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBl - 1986, 186). Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein Verwaltungsakt erst mit dessen Bekanntgabe existent wird und es sich zuvor um eine bloße Maßnahme innerhalb des Rahmens der Behörde handelt, oder ob der Verwaltungsakt bereits vor der Bekanntgabe entsteht und mit dieser nur noch Wirksamkeit erlangt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Januar 1981 V R 47/77, BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 222-222/9, m. w. N.). Denn in beiden Fällen wird der Verwaltungsakt erst mit dessen Bekanntgabe wirksam.

9

b) Der Bekanntgabewille der Behörde setzt den natürlichen Willen eines die Behörde repräsentierenden Amtsträgers voraus, der darauf gerichtet ist, den Verwaltungsakt durch Bekanntgabe an den Betroffenen zu erlassen. Hieraus folgt, daß der Bekanntgabewille der Behörde nicht von einem Bediensteten gebildet werden kann, der nach seiner Stellung nicht zum Erlaß eines Verwaltungsaktes befugt ist (vgl. Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 7). Der Bedienstete muß grundsätzlich zur Steuerfestsetzung berufen sein (vgl. Urteil in BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404). Im Bereich der Steuerfestsetzung bei den FÄ gehören zum Kreis der Beamten, die zu behördlichen Handlungen und Regelungen ermächtigt sind, regelmäßig Sachbearbeiter und Sachgebietsleiter. Diese sind Amtswalter, deren Handlungen dem FA zugerechnet werden (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 45 I).

10

2. a) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich, daß der "erste Bescheid" vom 2. Juli 1981 keine Wirksamkeit erlangt hat. Nach den Feststellungen des FG hat der zuletzt für die Steuerfestsetzung zuständige Sachgebietsleiter die Anweisung erteilt, den "Steuerbescheid" nicht bekanntzugeben, sondern den Fall unter anderen Vorgaben erneut zu bearbeiten. Es fehlte damit im maßgebenden Zeitpunkt nicht nur der Bekanntgabewille des zuletzt im Bereich der Steuerfestsetzung zuständigen Bearbeiters (des Sachgebietsleiters) und damit der Behörde, sondern es bestand ein der Bekanntgabe gerade entgegenstehender Wille. Unabhängig von der Frage, ob der Bescheid "existent" geworden war (s. oben 1 a), konnte er damit jedenfalls keine Wirksamkeit erlangen.

11

b) Daß der "erste Bescheid" nach den Feststellungen des FG mit Wissen und Wollen der Zentralstelle des FA versandt worden ist, hat - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - für die Wirksamkeit des Bescheides keine Bedeutung. Die Zentralstelle ist - worauf das FA zu Recht hinweist - nicht zur Steuerfestsetzung bzw. zum Erlaß von Verwaltungsakten berufen, sondern ist nur behördenintern für die technische Abwicklung zuständig. Für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ist aber nach den o. g. Grundsätzen der Bekanntgabewille des für die Steuerfestsetzung zuständigen Bearbeiters maßgebend.

12

3. Anders als in dem der Entscheidung des BFH in BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404 zugrunde liegenden Fall handelt es sich bei der Versendung des "ersten Bescheides" entgegen dem Willen des zuständigen Sachgebietsleiters auch nicht um einen Fall der Überschreitung verwaltungsinterner Zeichnungsbefugnisse. Denn der Zentralstelle des FA fehlt im Gegensatz z. B. zum Sachbearbeiter - wie oben dargestellt - überhaupt die Kompetenz zu behördlichem Handeln im Bereich der Steuerfestsetzung. Der Streitfall ist auch nicht vergleichbar mit Fällen, in denen ein Bekanntgabewille vorhanden ist, der bekanntgegebene Verwaltungsakt dann jedoch eine andere Regelung enthält, als die eigentlich von der Behörde gewollte (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. April 1979 VIII R 16/77, BFHE 128, 20, BStBl II 1979, 606).

13

4. Die Vorinstanz ist von der Wirksamkeit des "ersten Bescheides" vom 2. Juli 1981 ausgegangen und hat den Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 29. Juli 1981 als eines zweiten Bescheides verfahrensrechtlich nicht als zulässig erachtet. Nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats hat der "erste Bescheid" jedoch keine Wirksamkeit erlangt. Das FA war daher - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nicht aus diesem Grunde am Erlaß des Bescheides vom 29. Juli 1981 gehindert. Durch die Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, den Bescheid vom 29. Juli 1981 auch in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen.