Gewinn eines Arztes; Gewinnermittlung durch Überschußrechnung; Abschlagszahlung der Kassenärztlichen Vereinigung; Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen

Verfahrensgang:

vorgehend:

Niedersächsisches FG

Rechtsgrundlage:

§ 11 Abs. 1 S. 2 EStG

Fundstellen:

BFHE 147, 419 - 423

BStBl II 1987, 16

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Gewinnermittlung eines Arztes durch Überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) sind die jeweils für Dezember des Vorjahres Anfang Januar des Folgejahres zu leistenden Abschlagszahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG als regelmäßig wiederkehrende Einnahmen des Arztes dem vorangegangenen Kalenderjahr zuzurechnen.

Tatbestand:

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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1978 bis 1980 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Als Arzt für Allgemeinmedizin betreibt der Kläger seit 1975 eine eigene Praxis. Er ermittelte seinen Gewinn aus selbständiger Arbeit für die Streitjahre durch Einnahmeüberschußrechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

2

Von der Kassenärztlichen Vereinigung erhielt der Kläger für seine kassenärztliche Tätigkeit monatlich Honorarabschläge, die in den ersten 10 Tagen nach Ablauf des jeweiligen Monats zu leisten waren. Danach wurden in den Streitjahren die jeweils für Dezember fälligen Abschlagszahlungen im Januar des Folgejahres gezahlt, und zwar der Abschlag

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12/1978 mit 15 000 DM am 2. Januar 1979

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12/1979 mit 19 600 DM am 4. Januar 1980

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12/1980 mit 21 800 DM am 6. Januar 1981

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Während der Kläger diese Leistungen bei seiner Gewinnermittlung im Jahr der Zahlung erfaßte, behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Abschlagszahlungen nach einer Betriebsprüfung als wiederkehrende Einnahmen, die er gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG jeweils dem vorangegangenen Jahr zurechnete. Im Ergebnis führte dies in den Streitjahren zu folgenden Gewinnerhöhungen:

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1978 15 000 DM

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1979 (19 600 DM ./. 15 000 DM) = 4 600 DM

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1980 (21 800 DM ./. 19 600 DM) = 2 200 DM

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Das FA änderte daraufhin die Einkommensteuerbescheide 1978 bis 1980 entsprechend. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Abschlagszahlungen für Dezember seien als regelmäßig wiederkehrende Einnahmen dem Kalenderjahr zuzurechnen, dem sie wirtschaftlich zugehören. Anders als nach dem im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Oktober 1957 IV 98/56 U (BFHE 66, 52, BStBl III 1958, 23) zu beurteilenden Sachverhalt seien im Streitfall bestimmte Fälligkeiten für die Abschlagszahlungen vorgesehen; denn nach § 10 Abs. 2 des Honorarverteilungsmaßstabs der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (HVM-Niedersachsen) seien die monatlichen Abschlagszahlungen stets wenige Tage nach Ablauf des Monats zu zahlen.

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Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Kläger die Verletzung materiellen Rechts rügen.

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Das Urteil in BFHE 66, 52, BStBl III 1958, 23 sei über die Beurteilung vierteljährlicher Abschlußzahlungen hinaus für alle Honorarleistungen der Kassenärztlichen Vereinigung maßgebend. Die Leistungen seien nicht als wiederkehrende Einnahmen anzusehen, weil sie auf öffentlich-rechtlichen Ansprüchen beruhten, für die nach dem Urteil in BFHE 66, 52, BStBl III 1958, 23 keine festen Fälligkeits- und Zuflußzeitpunkte bestünden. Schließlich seien die Abschlagszahlungen auch der Höhe nach nicht genau bestimmt, sondern leistungsbezogen zu bemessen und von einer endgültigen Abrechnung abhängig. Bei der vierteljährlich vorzunehmenden Anrechnung der monatlichen Abschlagszahlung könne sich ein Rückzahlungsanspruch der Kassenärztlichen Vereinigung ergeben, die im übrigen mit Gegenforderungen, wie Schadensersatzansprüchen, aufrechnen könne.

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Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide das zu versteuernde Einkommen für die Streitjahre

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1978 auf ... DM,

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1979 auf ... DM und

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1980 auf ... DM herabzusetzen.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Im Rahmen der Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG erhöhen diese Zuflüsse als Betriebseinnahmen den Gewinn dieses Kalenderjahres.

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2. Als Ausnahme von der grundsätzlichen Erfassung der Einnahmen im Jahr des Zuflusses sieht § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG für gewisse Fälle eine periodengerechte Berücksichtigung von Einnahmen vor. Danach gelten regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, als in diesem Kalenderjahr bezogen. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG liegen im Streitfall vor.

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a) Die von der Kassenärztlichen Vereinigung geleisteten monatlichen Abschlagszahlungen sind regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, weil es sich um monatlich zahlbare Leistungen handelt. Entgegen der Auffassung der Revision bezieht sich das Adjektiv "regelmäßig", wie sich der Beifügung "wiederkehrend" entnehmen läßt, nicht auf die Gleichmäßigkeit der Beträge, sondern allein auf die zeitliche Aufeinanderfolge der Einnahmen (und Ausgaben). Diese am Wortsinn orientierte Auslegung des Begriffs "regelmäßig wiederkehrend" wird auch durch den Regelungszweck des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG bestätigt. Die Vorschrift soll Zweifel vermeiden, zu denen der Zufluß von Einnahmen um die Jahreswende Anlaß geben könnte. Deshalb hat der BFH den Ausdruck wiederkehrende Einnahmen ganz allgemein so verstanden, daß diese Einnahmen ihrer Natur nach wiederkehren müssen (Urteile vom 3. Juni 1975 VIII R 47/70, BFHE 116, 147, BStBl II 1975, 696, und vom 10. Dezember 1985 VIII R 15/83, BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342). Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Begriff der wiederkehrenden Leistungen in § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist für Leistungen dieser Art charakteristisch, daß der Anspruch des Zahlungsempfängers von vornherein und seiner Natur nach auf Zahlungen gerichtet ist, die nicht einmal, sondern in regelmäßiger Wiederkehr zu erbringen sind (BGH-Urteil vom 10. Juli 1986 III ZR 133/85, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZiP - 1986, 1037, 1040). Es handelt sich somit um Zahlungen, die aufgrund von bestehenden Rechtsverhältnissen wiederkehrend zu leisten sind (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 11 Anm. 4; ebenso zuletzt BFHE 145, 438, BStBl II 1986, 342).

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Für die Beurteilung der monatlichen Abschlagszahlungen als regelmäßig wiederkehrende Einnahmen ist es im Streitfall daher von Bedeutung, daß § 10 Abs. 2 HVM-Niedersachsen die Kassenärztliche Vereinigung verpflichtet, bis zum Zehnten eines jeden Monats eine Abschlagszahlung zu erbringen. Andererseits ist ohne Bedeutung, daß es sich um Zahlungen handelt, die sich der Höhe nach ändern können, weil ihre Bemessung von dem Betrag der Honorargutschrift im zuletzt abgerechneten Vierteljahr abhängt; unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang schließlich auch der Umstand, daß es sich bei der monatlichen Abschlagszahlung nach § 10 Abs. 2 HVM-Niedersachsen um eine "aufrechnungsfähige und ggf. rückzahlungspflichtige" Leistung handelt, die vorbehaltlich fälliger Erstattungs- oder Schadensersatzforderungen gegen den jeweiligen Arzt erbracht wird.

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b) Da die streitigen Abschlagszahlungen für den Monat Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres jeweils zu Beginn des Januar gezahlt worden sind, gehören sie wirtschaftlich zum vorangegangenen Kalenderjahr.

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Es handelt sich um Zahlungen zur Jahreswende, die kurze Zeit nach Beginn des Kalenderjahres zugeflossen sind. Als kurze Zeit in diesem Sinne ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel ein Zeitraum bis zu zehn Tagen anzusehen (vgl. Urteile vom 13. März 1964 VI 152/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Einkommensteuergesetz bis 1975, § 11 Rechtsspruch 50; vom 9. Mai 1974 VI R 161/72, BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547, und BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342).

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Auch konnte der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits über die Einnahmen wirtschaftlich verfügen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 30. Januar 1975 IV R 190/71, BFHE 115, 559, BStBl II 1975, 776). Insoweit ist die Bezeichnung der Abschlagszahlungen als "gegebenenfalls zurückzahlungspflichtige" Leistungen in § 10 Abs. 2 HVM-Niedersachsen unschädlich, denn Einnahmen sind nach der Rechtsprechung des Senats auch dann zugeflossen, wenn im Zeitpunkt des Zuflusses noch nicht zweifelsfrei feststeht, ob sie dem Empfänger endgültig verbleiben (BFH-Urteil vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593).

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c) Schließlich sind die Abschlagszahlungen nach der im Streitfall maßgebenden Rechtslage nicht nur kurze Zeit nach Ablauf des Kalenderjahres zugeflossen; sie sind auch innerhalb dieses Zeitraums fällig geworden. Nach § 10 Abs. 2 HVM-Niedersachsen sind die "zur teilweisen vorläufigen Abgeltung" der Leistungen zu erbringenden Abschlagszahlungen "in den ersten zehn Tagen nach Ablauf des Monats" zahlbar, so daß der Kläger die Abschlagszahlung für Dezember jedenfalls bis spätestens zum 10. Januar des Folgejahres verlangen konnte.

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Das Erfordernis der Fälligkeit um die Jahreswende ergibt sich aus dem Zweck der Sonderregelung zur Behandlung regelmäßig wiederkehrender Einnahmen und Ausgaben, durch die Zufallsergebnisse bei strikter Anwendung des Zu- und Abflußprinzips vermieden werden sollen (gleicher Auffassung Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 11 Anm. 38; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 11 Anm. 31; Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., 1985, § 11 Anm. 32). In diesem Sinne versteht der Senat auch die Ausführungen des BFH in BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547.