Verpflegungsmehraufwand; Abzugsverbot; Aufteilungsverbot; Geschäftsreise; Gewerbebetrieb; Mehrere Geschäftsstellen; Wöchentliche Öffnung; Fahrten eines Gewerbetreibenden; Fahrten zur auswärtigen Geschäftsstelle

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG München

Rechtsgrundlagen:

§ 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG 1975

§ 12 Nr. 1 EStG 1975

Fundstellen:

BFH/NV 1989, 10

BStBl II 1989, 276

DB 1989, 606-607 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz:

Besteht ein Gewerbebetrieb aus mehreren Geschäfts- und Verkaufsstellen am Wohnort und an anderen Orten, von denen wöchentlich jeweils eine geöffnet ist und die anderen geschlossen sind, so sind die Fahrten des Gewerbetreibenden zur jeweiligen auswärtigen Geschäftsstelle keine Geschäftsreisen, sondern Fahrten von der Wohnung zu einer Betriebsstätte. Etwaiger Verpflegungsmehraufwand unterliegt daher dem Abzugs- und Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 EStG.

Tatbestand:

1

Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionskläger (Kläger) sind ausgebildete Hörgeräteakustiker. Sie vertrieben in den Streitjahren 1974 bis 1976 im süddeutschen Raum Hörgeräte. Die Geschäftsleitung ihres damals in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betriebenen Fachinstituts für Hörgeräte war C mit sechs Geschäftsstellen im Umkreis von 100 Kilometern. Die Kläger suchten diese Geschäftsstellen an bestimmten Sprechtagen zur Kundenbetreuung auf. Der Gesellschafter H, der in O wohnhaft war, suchte regelmäßig die Geschäftsstellen in C, B, D und O auf. Der Gesellschafter W, der in A wohnhaft war, betreute ebenfalls an bestimmten Wochentagen die Geschäftsstellen in A und E. Er hielt sich außerdem in C auf, soweit es Aufgaben der Geschäftsleitung erforderten. In geringem Umfang wurden Fahrten zu Ärzten und Kunden erforderlich.

2

Die Geschäftsstellen befanden sich in angemieteten Räumen. Sie bestanden lediglich aus einem Wartezimmer und einem Arbeitsraum zur Beratung der Patienten und zum Anpassen der Hörgeräte. An den Tagen ohne Sprechstunde waren die Geschäftsstellen geschlossen und nicht mit Personal besetzt. Vorrichtungen zur Zubereitung von Speisen zwecks Verpflegung der Kläger und ihrer Mitarbeiter enthielten die Räume nicht. Die Kläger haben vorgetragen, eine Zubereitung von Speisen in den Räumen sei wegen der Feuchtigkeitsempfindlichkeit der Hörgeräte nicht möglich.

3

Anläßlich einer im Jahre 1977 durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, daß die Kläger die regelmäßigen Fahrten zwischen ihren Wohnorten O bzw. A und den an anderen Orten befindlichen Geschäftsstellen als Geschäftsreisen i. S. des Abschn. 119 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) behandelt und dementsprechend Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwand als Betriebsausgaben bei der Gewinnfeststellung angesetzt hatten (1974: 5 516 DM; 1975: 5 718 DM und 1976: 5 785 DM). Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ in den gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden vom 28. Juni 1978 diesen Betriebsausgabenabzug nicht zu und erhöhte den Gewinn entsprechend. Außerdem verminderte das FA im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung die abziehbaren Vorsteuerbeträge, indem es die auf § 8 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) vom 26. Juli 1967 (1. UStDV) gestützten Abzüge von Vorsteuerbeträgen nicht anerkannte (geänderte Umsatzsteuerbescheide vom 17. August 1978).

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Die Einsprüche blieben erfolglos. Das FA vertrat die Auffassung, die Kläger hätten keine Geschäftsreisen i. S. des Abschn. 119 Abs. 2 EStR durchgeführt und könnten somit Mehraufwendungen für Verpflegung nicht in Gestalt von Pauschalbeträgen geltend machen.

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Die Klage, mit der die Kläger die Berücksichtigung des Verpflegungsmehraufwandes als Betriebsausgaben und Vorsteuerabzüge gemäß § 8 der 1. UStDV begehrten, hatte im wesentlichen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich grundsätzlich der Rechtsauffassung des FA an. Es war jedoch der Meinung, daß diese Rechtsauffassung nicht schlechthin den Anfall von abzugsfähigem Verpflegungsmehraufwand ausschließe. Die Voraussetzungen für einen Abzug von Verpflegungsmehraufwand als Betriebsausgaben seien aufgrund der räumlichen Bedingungen in den Geschäftsstellen gegeben, was die Kläger zu einer Essenseinnahme in Gaststätten gezwungen habe. Die danach notwendige Schätzung des Verpflegungsmehraufwandes sei in Anlehnung an Abschn. 22 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) durchzuführen. Die entsprechenden Pauschbeträge von täglich 5 DM gewährte das FG jedem Gesellschafter auf der Grundlage einer viertägigen Abwesenheit pro Woche. Bezüglich der Umsatzsteuer wies das FG die Klage ab. Die Anwendung dieser Vorschrift setze die berechtigte Inanspruchnahme von Pauschbeträgen nach den EStR voraus.

6

Das FA erhob wegen Nichtzulassung der Revision erfolgreich Beschwerde. Das FG ließ die Revision des FA durch Beschluß vom 20. Mai 1985 zu. Das FA hat daraufhin Revision eingelegt und beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Daraufhin legten auch die Kläger Revision ein, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen.

7

Die Kläger beantragen die Abweisung der Revision des FA und mit ihrer Anschlußrevision die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und sinngemäß die Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide vom 28. Juni 1986 dahingehend, daß die Verpflegungsmehraufwendungen nach Maßgabe des Abschn. 119 EStR als Betriebsausgaben angesetzt werden. Des weiteren begehren sie, bei der Umsatzsteuerfestsetzung 1974 bis 1976 die Pauschbeträge nach § 8 der 1. UStDV als abziehbare Vorsteuerbeträge anzusetzen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung.

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1. Nach § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Aufwendungen für die Ernährung gehören grundsätzlich zu den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebensführung. Auch wenn bei Aufwendungen dieser Art ein wirtschaftlicher Zusammenhang gegeben ist, besteht grundsätzlich ein Aufteilungs- und Abzugsverbot (vgl. zuletzt Beschluß des Großen Senats vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Dieses Aufteilungs- und Abzugsverbot ist für zwei Fälle eingeschränkt worden. Gemischte Aufwendungen sind zum einen dann als Betriebsausgaben voll absetzbar, wenn der private Anlaß unbedeutend ist und nicht ins Gewicht fällt. Zum anderen soll eine Aufteilung der gemischten Aufwendungen möglich sein, wenn zwar der private Anteil nicht unbedeutend ist, die Aufteilung sich aber leicht und einwandfrei nach einem objektiv nachprüfbaren Maßstab durchführen läßt (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 14. April 1988 IV R 205/85, BFHE 153, 129, BStBl II 1988, 771 - Verzehraufwendungen eines Automatenaufstellers in Kundengaststätten).

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Dementsprechend greift nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) das Abzugsverbot nicht ein, wenn ein Mehraufwand von Verpflegungskosten in typischen Fällen überwiegend durch Beruf oder den Betrieb des Steuerpflichtigen veranlaßt wird. Eine solche typisierende Betrachtung ist einerseits für die Fälle der regelmäßig mehr als 12 stündigen Abwesenheit von der Wohnung verneint worden (Senatsurteil vom 28. Januar 1976 IV R 195/72, BFHE 118, 173, BStBl II 1976, 323, m. w. N.; zuletzt Senatsentscheidung vom 24. Januar 1985 IV R 268/84, BFH/NV 1986, 200), andererseits für die Fälle der Geschäftsreise bejaht worden (Senatsurteil vom 29. März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700; zuletzt BFH-Urteil vom 13. November 1987 III R 222/84, BFHE 152, 92, BStBl II 1988, 428). Hier wird angenommen, daß die Aufwendungen ausschließlich oder weitaus überwiegend betrieblich veranlaßt sind (BFH-Urteil vom 11. April 1961 I 205/60 S, BFHE 73, 535, BStBl III 1961, 461).

11

Der von der Rechtsprechung entwickelte Begriff der Geschäftsreise, der der Pauschalierungsregelung in Abschn. 119 EStR zugrunde liegt, setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige von dem Ort, an dem sich seine Betriebsstätte befindet, zu beruflichen bzw. betrieblichen Zwecken vorübergehend an einen anderen Ort ohne Betriebsstätte begibt (vgl. Urteil in BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700).

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2. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Kläger mit ihren Fahrten von denjenigen Orten, an denen sie wohnten, zu den jeweils eintägig aufgesuchten Geschäftsstellen an anderen Orten keine Geschäftsreisen im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung des BFH und des Abschn. 119 EStR ausgeführt haben. Geht man mit der bisherigen Rechtsprechung davon aus, daß als Betriebsstätte der Schwerpunkt der beruflichen Existenz bzw. der geschäftlichen Tätigkeit angesehen wird, kann nicht der Sitz der Geschäftsleitung in C als die alleinige Betriebsstätte angesehen werden. Bei einem Betrieb, dessen wesentliches Merkmal der Absatz von Waren unter gesteigerter individueller Betreuung der Kundschaft ist (Beratung und Anpassung von Hörgeräten), liegt der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit dort, wo diese Dienstleistung am Kunden vor Ort ausgeübt wird. Deshalb sind die in allen Orten unterhaltenen Geschäftsstellen als gleichwertig zu erachtende Betriebsstätten der Kläger anzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 27. August 1980 I R 83/77, nicht veröffentlicht).

13

Die Kläger haben zudem diese Betriebsstätten nicht von einer anderen Betriebsstätte angefahren, sondern von ihrer Wohnung. Zwar bestanden an den Wohnorten der Kläger auch Geschäftsstellen, die sie - ebenso wie die anderen Geschäftsstellen - einmal wöchentlich zur Kundenbetreuung aufsuchten. An denjenigen Tagen jedoch, an denen sie die Geschäftsstellen in den anderen Orten aufsuchten, blieben die am Wohnort befindlichen Geschäftsstellen geschlossen. Die Kläger fuhren nicht die am Wohnort befindlichen angemieteten Geschäftsstellen an, sondern die an den anderen Orten befindlichen Geschäftsstellen von ihrer Wohnung aus. Soweit in den BFH-Urteilen vom 31. Mai 1978 I R 69/76 (BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564) und in BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700 zum Begriff der Geschäftsreise ausgeführt ist, daß sich der Steuerpflichtige von dem Ort, an dem sich die Betriebsstätte befinde, zu einem anderen Ort begeben müsse, waren diese Entscheidungen sachverhaltsmäßig dadurch gekennzeichnet, daß der Steuerpflichtige aufgrund der räumlichen Gegebenheiten die Fahrten von seiner am Wohnort und im selben Haus befindlichen Betriebsstätte aus angetreten hatte. Der erkennende Senat hat jedoch bereits im Urteil vom 27. November 1970 IV 168/64 (BFHE 100, 528, BStBl II 1971, 103) ausgeführt, daß jedenfalls das direkte Anfahren eines im Nachbarort unterhaltenen Zweigbetriebs von der Wohnung aus nicht als Geschäftsreise, sondern als Fahrt zwischen Wohnung und Betriebsstätte beurteilt werden müsse. In bezug auf die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen könne diese Fallgestaltung nicht anders beurteilt werden als der Normalfall eines außerhalb des Betriebsorts wohnenden selbständigen Unternehmers. Dementsprechend kann bei Fallgestaltungen wie im Streitfall, wo die Öffnung einer Geschäftsstelle mit Nichtöffnung einer anderen Geschäftsstelle einhergeht, nicht angenommen werden, daß Ort des Fahrtantritts nicht die Wohnung, sondern die nichtgeöffnete Betriebsstätte sei. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Kläger die Fahrt zu den außerhalb ihres Wohnortes belegenen Betriebsstätten von ihrer Wohnung aus angetreten haben und somit der Normfall von Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte gegeben ist. Es liegen somit im Streitfall keine Fahrten von einer geschäftlichen Niederlassung zu einer anderen vor, für die in der Entscheidung in BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700 unter besonderen Umständen Möglichkeit einer Behandlung als Geschäftsreise vorgesehen ist, nämlich dann, wenn der Steuerpflichtige keine Möglichkeit habe, seine Verpflegung so billig wie möglich zu gestalten.

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3. Bei dieser Sachlage ist von den Grundsätzen auszugehen, wie sie sich aus der Entscheidung in BFHE 118, 173, BStBl II 1976, 323 ergeben. Demgemäß hat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Verpflegungsmehraufwendungen bei selbständig Tätigen (Freiberufler, Gewerbetreibende) vom gesetzlichen Abzugs- und Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 EStG erfaßt werden, sofern nicht der typische Ausnahmefall einer Geschäftsreise gegeben ist. Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung ist kein objektiver, zuverlässiger und leicht nachprüfbarer Maßstab gegeben, demzufolge Teile der Verpflegungsaufwendungen als beruflich bedingt abgetrennt werden könnten. Solche Mehraufwendungen müßten geschätzt werden, wozu im Einzelfall die tatsächlichen Grundlagen einer Schätzung vom Steuerpflichtigen im Rahmen seiner Darlegungslast vorgegeben sein müßten. Die Kläger haben jedoch in dieser Beziehung nichts dargetan, sondern sich pauschal auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer Geschäftsreise berufen. Auf die BFH-Urteile vom 21. Juli 1955 IV 356/54 U (BFHE 61, 278, BStBl III 1955, 305) und vom 24. Oktober 1974 IV R 101/72 (BFHE 114, 63, BStBl II 1975, 407) können sie sich zur Unterstützung ihres Begehrens nicht berufen, denn der BFH hat für diese beiden Fälle für maßgeblich erachtet, daß sie besonders gelagert seien und den Fahrten selbständig Tätiger vergleichbar seien, die zu entfernt liegenden Orten ihrer beruflichen Tätigkeit führten und zudem von längerer Dauer seien.

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Die Anwendung von Pauschsätzen, die in Abschn. 22 Abs. 3 LStR für Arbeitnehmer vorgesehen sind, kann danach entgegen der Auffassung des FG nicht in Betracht gezogen werden. An der bisherigen Auffassung, daß für die Gleichartigkeit der Verhältnisse zwischen selbständig Tätigen einerseits und Arbeitnehmern andererseits keine gesicherten Erkenntnisse vorlägen, wird festgehalten (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 1972 IV R 130/71, BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855).

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II.

Die von den Klägern eingelegte Revision (Anschlußrevision) ist nicht begründet. Bezüglich der Einkommensteuer folgt dies aus den in Abschn. I enthaltenen Entscheidungsgründen. Der Abzug der in § 8 Abs. 1 der 1. UStDV (jetzt § 36 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1980) aufgeführten pauschalierten Vorsteuerabzugsbeträge im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung kann schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, daß dem Steuerpflichtigen die einkommensteuerlichen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen rechtens zustehen bzw. rechtens gewährt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 V R 44/82, Umsatzsteuer-Rundschau 1985, 90, und Beschluß vom 29. Januar 1987 V B 33/85, BFHE 148, 560, BStBl II 1987, 316). Diese Voraussetzungen sind, wie dargelegt, im Streitfall jedoch nicht gegeben.