Verfristung eines Einspruchs gegem einen Einkommensteuerbescheid

Fundstelle:

BFH/NV 1989, 481

Tatbestand

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Mit der beim FG anhängigen Anfechtungsklage begehrt der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer in diesem Verfahren (Beschwerdeführer), den Einkommensteuerbescheid 1982 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben. Der Beklagte (das FA) hatte, nachdem wiederholte Aufforderungen zur Abgabe einer Steuererklärung erfolglos geblieben waren, die Besteuerungsgrundlagen geschätzt und die Einkommensteuerschuld des Beschwerdeführers für 1982 auf 6 389 DM festgesetzt.

2

Der Bescheid ist laut Postzustellungsurkunde am 11. Februar 1984 dem Beschwerdeführer selbst in seiner Wohnung übergeben worden.

3

In einem am 28. März 1984 beim FA eingegangenen Schreiben teilte der Beschwerdeführer u. a. mit, er könne die Steuererklärung für 1982 nicht abgeben, weil ihm die Lohnsteuerkarte trotz mehrfacher Aufforderung von seinem Arbeitgeber noch nicht zugesandt worden sei. Im übrigen könne man bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb nicht von Einkommen sprechen. Es handele sich um Nebeneinkünfte. Der Beschwerdeführer versprach, die Lohnsteuerkarte nach Erhalt nachzureichen, und schickte den Einkommensteuerbescheid an das FA zurück.

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In seinem Antwortschreiben vom 11. Mai 1984 machte das FA den Beschwerdeführer u. a. darauf aufmerksam, daß ein Einspruch, wenn der Beschwerdeführer einen solchen Rechtsbehelf habe einlegen wollen, verspätet sei, wies auf § 110 AO 1977 hin und gab den Bescheid an den Beschwerdeführer zurück.

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Mit Schreiben vom 24. September 1984, das am 27. September 1984 beim FA einging, bestätigte der Beschwerdeführer, daß er die Schätzung für nicht gerechtfertigt halte, berief sich zur Begründung auf die noch immer nicht vorliegende Lohnsteuerkarte und machte als Wiedereinsetzungsgrund geltend, er habe die Einspruchsfrist wegen einer längeren Abwesenheit nicht einhalten können. Ein weiteres Schreiben vom 2. Oktober 1985 war mit einer eidesstattlichen Versicherung des Beschwerdeführers versehen, derzufolge sich dieser mindestens in der Zeit vom 10. Februar 1984 bis zwei Tage vor Fertigung des Schreibens vom 28. März 1984 nicht an seinem Wohnort, sondern auf Einladung eines Herrn N in Spanien und Italien aufgehalten habe. Als der Beschwerdeführer vom Inhalt der Postzustellungsurkunde erfuhr, trug er in einem weiteren Schreiben vom 14. November 1985 vor, es sei unmöglich, daß ihm der Bescheid am 11. Februar 1984 persönlich in der Wohnung ausgehändigt worden sei. An diesem Tag sei er nämlich mit einem Bekannten in dessen Wagen in der Eifel gewesen. Die Fahrt habe von 7.45 Uhr bis 18.30 Uhr gedauert.

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Zum Nachweis legte er die Kopie einer Tachoscheibe vor.

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Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.

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Mit seiner auf Aufhebung gerichteten Klage begehrt der Beschwerdeführer weiterhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, der Inhalt der Postzustellungsurkunde könne nicht richtig sein, weil er zu der Zeit, die für eine Zustellung in Betracht komme, nicht in seiner Wohnung gewesen sei. Das ergebe sich aus der Tachoscheibe. Diese stamme von N, für den er gelegentlich unentgeltliche Busfahrten durchführe. Im übrigen sei er in der Zeit nach dem 11. Februar 1984 bis kurz vor dem 28. März 1984 "fast durchgängig ortsabwesend" gewesen. Als er innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von dem Steuerbescheid Kenntnis erhalten habe, habe er sogleich Einspruch eingelegt.

9

Beim FG hat der Beschwerdeführer außerdem mit Schriftsatz vom 1. Februar 1988 Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung seines bisherigen Prozeßbevollmächtigten beantragt. Diesen Antrag hat das FG als unbegründet abgelehnt, weil es die Erklärung des Beschwerdeführers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als unvollständig ansah und der Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten beimaß.

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Zur Begründung seiner Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer seine Einwände gegen den Inhalt der Postzustellungsurkunde. In sachlicher Hinsicht hat er bislang weder im Klage- noch im PKH-Verfahren etwas vorgetragen. Nur dem FA gegenüber hat er am 15. November 1985 eine Lohnsteuerbescheinigung über einen Bruttoarbeitslohn 1982 von 15 666,01 DM vorgelegt. Eine Einkommensteuererklärung hat der Beschwerdeführer den vorliegenden Akten zufolge noch nicht eingereicht.

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Der Beschwerdeführer beantragt, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren und seinen Prozeßbevollmächtigten beizuordnen.

Entscheidungsgründe

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Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den PKH-Antrag zu Recht abgelehnt.

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Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 121 ZPO).

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Die Anfechtungsklage bietet keine hinreichende Erfolgsaussichten.

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1.

Das FA hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen.

16

a)

Der Rechtsbehelf ist verspätet eingelegt worden. Laut Postzustellungsurkunde ist der (mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene) Einkommensteuerbescheid 1982 dem Beschwerdeführer am 11. Februar 1984 persönlich in dessen Wohnung übergeben worden. Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde für die Richtigkeit der in ihr beurkundeten Tatsachen (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 53 Rz. 29 und § 82 Rz. 40) hat der Beschwerdeführer nicht in Zweifel ziehen, geschweige denn durch einen Gegenbeweis entkräften können. Ganz abgesehen davon, daß die Tachoscheibe allein (im Original) nur zum Nachweis von Fahrzeiten und Geschwindigkeiten geeignet ist, aber zuverlässig nichts über die hier allein bedeutsame Person des Fahrers aussagt, hat der Beschwerdeführer über seinen Aufenthalt am 11. Februar 1984 widersprüchliche Angaben gemacht und für keine Version verwertbare Beweise angeboten. Die Rechtsbehelfsfrist war also (am 12. März 1984, einem Montag) abgelaufen (§§ 355, 122, 108 Abs. 3 AO 1977), als das Schreiben, das als Einspruch in Betracht kommt, das FA erreichte.

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b)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FA zutreffenderweise versagt. Sie ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Die versäumte Handlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 AO 1977). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier in mehrfacher Hinsicht. Die widersprüchliche und ungenaue Schilderung der Ereignisse seitens des Beschwerdeführers läßt nicht einmal den Schluß zu, daß der Beschwerdeführer überhaupt gehindert war, die Einspruchsfrist zu wahren. Offen ist außerdem, wie lange eine etwaige Verhinderung angedauert hat. Angesichts dieser Unklarheiten läßt sich auch die Verschuldensfrage nicht beantworten. Die Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen schließlich ist daran gescheitert, daß sich die eidesstattliche Versicherung wegen ihrer Ungenauigkeiten und der Widersprüche zu späteren Erklärungen als untauglich erwiesen hat, das Wiedereinsetzungsbegehren zu stützen.