Landesmodernisierungsprogramm Berlin; Zuschüsse; Passivposten; Vorauszahlungsmittel

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Berlin

Rechtsgrundlagen:

§ 69 FGO

§ 5 EStG

§ 246 HGB

§ 252 HGB

Fundstellen:

BB 1990, 1875-1876 (Volltext mit amtl. LS)

BFH/NV 1990, 75

BStBl II 1990, 980-983 (Volltext mit amtl. LS)

DStR 1990, 596-597 (Volltext mit amtl. LS)

HFR 1991, 95-96 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz:

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß für Zuschüsse nach dem Landesmodernisierungsprogramm Berlin ein Passivposten nicht gebildet werden darf; ernstlich zweifelhaft ist jedoch, ob von der Passivierung der nach diesem Programm gewährten Vorauszahlungsmittel abgesehen werden darf.

Tatbestand:

1

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, befaßt sich mit dem Ankauf, der Modernisierung und der Nutzung von Miethausgrundstücken und erzielt daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt werden. Mit Bescheid vom 19. September 1988 wurde vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) ein Verlust in Höhe von ... DM festgestellt. Dagegen richtet sich der Einspruch der Antragstellerin, mit dem Feststellung eines höheren Verlustes begehrt wird; über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Feststellungsbescheids wurde vom FA mit Bescheid vom 21. November 1988 zurückgewiesen.

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Mit ihrem daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag begehrte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheids in der Weise, daß vorläufig von einem um 392 074,91 DM erhöhten Verlust auszugehen sei.

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Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

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Die Antragstellerin führte ab 1984 umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an ihren 1978 erworbenen Miethäusern A-Straße und B-Straße durch. Diese Maßnahmen wurden von der Wohnungsbau-Kreditanstalt mit öffentlichen Mitteln nach dem Landesmodernisierungsprogramm gefördert. Dazu hatte die Antragstellerin mit dem Land Berlin, vertreten durch die Wohnungsbau-Kreditanstalt, Modernisierungsverträge geschlossen. Aufgrund der Modernisierungsverträge erhielt die Antragstellerin sog. Vorauszahlungsmittel und nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse. Die Vorauszahlungsmittel wurden in entsprechender Anwendung des § 39 Abs. 5 des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG) gewährt. Bei ihnen entscheidet das Land Berlin nach 10 Jahren seit Bezugsfertigkeit des geförderten Objekts, in welcher Höhe sie in Darlehen umgewandelt bzw. endgültig als Zuschuß gewährt werden (§ 4 Abs. 4 des Modernisierungsvertrags).

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In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1985 passivierte die Antragstellerin die erhaltenen Vorauszahlungsmittel als Verbindlichkeiten. In Höhe der nicht rückzahlbaren Baukostenzuschüsse wies sie einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten aus, der entsprechend der Laufzeit des Modernisierungsvertrags über 15 Jahre gewinnerhöhend aufgelöst werden sollte.

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Das FA folgte dieser Handhabung nicht, sondern zog sowohl die Vorauszahlungsmittel als auch die Zuschüsse in Anwendung des Abschn. 34 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) von den Anschaffungs- und Herstellungskosten der Gebäude ab. Im angefochtenen Feststellungsbescheid wurde ein entsprechend geringerer Verlust festgesetzt.

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Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet ab.

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Dagegen richtet sich die vom FG nach Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. V. m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese ihr Begehren weiterverfolgt.

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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheids mit der Maßgabe auszusetzen, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem um 392 074 DM erhöhten Verlust auszugehen sei, der auf die Beteiligten nach Maßgabe des dem Bescheid zugrunde liegenden Verteilungsschlüssels aufzuteilen sei.

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Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung dieses Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).

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2. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze im Streitfall ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß in Höhe der als nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährten öffentlichen Mittel ein Passivposten nicht gebildet werden darf.

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a) Nach dem Senatsurteil vom 14. Juli 1988 IV R 78/85 (BFHE 154, 212, BStBl II 1989, 189) führen öffentliche Zuschüsse zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Anlagegütern regelmäßig zu einer Minderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der bezuschußten Wirtschaftsgüter. Der Senat hat in diesem Urteil ferner dargelegt, daß für die Verpflichtung des Empfängers von Fördermitteln (Zuschüssen) im Sinne des § 10 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), Patienten zu Pflegesätzen zu behandeln, in denen Abschreibungen für die mit den Fördermitteln erworbenen Anlagegüter nicht enthalten sind, keine Gegenleistung liegt, die zur Bildung eines Passivpostens in der Bilanz des Zuschußempfängers berechtigt. Der III. Senat des BFH hat sich dieser Auffassung im Urteil vom 28. April 1989 III R 4/87 (BFHE 156, 497, BStBl II 1989, 618) angeschlossen.

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b) Auch die im Streitfall nach dem Landesmodernisierungsprogramm gewährten nicht rückzahlbaren Fördermittel sind öffentliche Zuschüsse, die nach den Grundsätzen der vorbezeichneten Urteile zur Minderung der bezuschußten Aufwendungen führen. Daß es sich dabei um nachträgliche Herstellungskosten handelte, kann nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, ihre Verpflichtung gegenüber dem Land, während der Laufzeit des Modernisierungsvertrags keine höheren als die in diesem Vertrag festgelegten Mieten zu fordern, sei die Gegenleistung für den Empfang des Zuschusses; dafür müsse ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG) gebildet werden. Mit gleichartiger Begründung war auch im Falle des Urteils in BFHE 154, 212, BStBl II 1989, 189 ein Passivposten gebildet worden. Der Senat ist dem nicht gefolgt. Dazu hat er ausgeführt, in den Investitionszuschüssen liege keine zusätzliche Vergütung für die Leistung des Krankenhauses, die in der Behandlung und Pflege der Kranken bestehe; der III. Senat hat sich im Urteil in BFHE 156, 497, BStBl II 1989, 618 dieser Beurteilung angeschlossen.

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Geht man hiervon aus, kann jedenfalls bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtsfragen auch im Streitfall nicht ernstlich zweifelhaft sein, daß ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten nicht gebildet werden durfte. Die Leistung der Antragstellerin besteht in der Überlassung von Wohnungen, Büros und Läden zur Nutzung durch die Mieter. Dafür erhält sie als Gegenleistung die vereinbarten Mietzinsen; die Investitionszuschüsse zur Herstellung der zu vermietenden Objekte sind keine zusätzliche Vergütung für diese Leistung. Das wird auch daran deutlich, daß die Antragstellerin neben den Investitionszuschüssen aufgrund des Modernisierungsvertrags auch laufende Aufwendungszuschüsse zu den vereinbarten Mieten erhält.

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3. Ernstlich zweifelhaft ist hingegen, ob von der Passivierung der Vorauszahlungsmittel abgesehen werden darf.

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a) Die Förderung durch Vorauszahlungsmittel erfolgt nach § 4 Abs. 4 des Modernisierungsvertrags "analog" § 39 Abs. 5 StBauFG. Nach § 39 Abs. 5 StBauFG können Sanierungsförderungsmittel als Vorauszahlung gegeben werden unter Vorbehalt einer späteren Bestimmung, ob sie als Darlehen oder Zuschuß gewährt werden oder durch andere Finanzierungsmittel zu ersetzen oder zurückzuzahlen sind; in der Vorauszahlungszeit sind die vorausgezahlten Mittel zins- und tilgungsfrei. Im Schrifttum zum StBauFG ist mit Recht hervorgehoben worden, als Finanzierungsmethode suche die Regelung ihresgleichen; es bleibe alles offen (Gehrmann, Städtebauförderungsgesetz, Einführung und Kommentar, § 39, S. 169, m. w. N.). Bei dieser unklaren förderungsrechtlichen Vorgabe ist die Auffassung nicht von der Hand zu weisen, mit der Entgegennahme der Förderungsmittel entstehe eine (befristete) Rückzahlungsverpflichtung, die später erlischt, wenn die Vergabestelle bestimmt, daß die Mittel (endgültig) als Zuschuß gewährt werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, daß die Finanzverwaltung bei unmittelbar nach § 39 Abs. 5 StBauFG gewährten Mitteln einen "vom Gesetzgeber gewollten Schwebezustand" annimmt, "dem auch bei der Bilanzierung in der Steuerbilanz Rechnung getragen werden sollte" (ESt-Kartei Berlin, § 5 EStG, Nr. 16). Gleiches würde dann für die "analog" § 39 Abs. 5 StBauFG gewährten Fördermittel aus dem Landesmodernisierungsprogramm zu gelten haben. Für diese Wertung spricht auch, daß nach dem Modernisierungsvertrag die Rückzahlung der Fördermittel alsbald durch eine Grundschuld gesichert wird, für die Löschungsbewilligung "nach erfolgter Umwandlung von Vorauszahlungsmitteln in Zuschüsse zu erteilen" ist (§ 4 Abs. 9 des Modernisierungsvertrags). Demzufolge ist auch das FA zuletzt davon ausgegangen, bei den Vorauszahlungsmitteln handele es sich um bedingt erlaßbare Darlehen.

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b) Versteht man das Vertragswerk in diesem Sinne, so muß die dann anzunehmende auflösend bedingte Darlehensverpflichtung nach im Schrifttum vertretener Auffassung aufgrund des Vollständigkeitsgebots (vgl. jetzt § 246 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -) und des Vorsichtsprinzips (vgl. jetzt § 252 Abs. 1 HGB) grundsätzlich stets als Verbindlichkeit ausgewiesen werden, bis die auflösende Bedingung eintritt (vgl. z. B. Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, § 247 HGB Anm. 374; H. Meyer, Der Betrieb - DB - 1986, 1425; Nieland, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1986, 246, 248). In diesem Sinne hat sich auch der Hauptfachausschuß des Instituts der Wirtschaftsprüfer geäußert (Stellungnahme HFA 1/1984, Die Wirtschaftsprüfung - WPg - 1984, 612, 615). Die Vorinstanz hat sich demgegenüber zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung im wesentlichen nur auf Verfügungen und Erlasse der Berliner Finanzverwaltung bezogen, insbesondere auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin vom 10. Dezember 1987 (ESt-Kartei Berlin, § 6 Abs. 1 EStG - Zuschüsse und Rücklagen - Nr. 8). Dort wird unter Verweisung auf eine weitere Verfügung der OFD vom 11. Juli 1985 St 414-S 21432/85 (ESt-Kartei Nr. 6, zu § 6 Abs. 1, a. a. O.) die Auffassung vertreten, eine Passivierung sei auch bei bedingt erlaßbaren Darlehen erst dann möglich, wenn die Rückzahlungsverpflichtung "tatsächlich" entstehe. Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, die sich aus den von der Verwaltungsauffassung abweichenden Auffassungen im Schrifttum ergeben, können dadurch indes nicht ausgeräumt werden.

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c) Das FA hat geltend gemacht, nach dem Vertrag entfalle die Rückzahlungsverpflichtung, wenn die Antragstellerin innerhalb von 10 Jahren nach (mittlerer) Bezugsfertigkeit nachweise, daß ein bestimmter wirtschaftlicher Erfolg nicht eingetreten sei. Der wirtschaftliche Erfolg sei das Tatbestandsmerkmal, an das die Rückzahlungsverpflichtung geknüpft sei. In der Tat wird die Auffassung vertreten, daß an den "Erfolg" des geförderten Projekts gebundene Rückzahlungsverpflichtungen erst zu passivieren sind, wenn der nach den Zuwendungsbedingungen für die Rückzahlung maßgebliche Erfolg eingetreten sei (vgl. Stellungnahme HFA 1/1984, a. a. O. unter 3.b). Dabei ist jedoch in erster Linie an Fälle gedacht, in denen die Rückzahlungsverpflichtung an den Zufluß von Erlösen bzw. die Erzielung eines Überschusses aus dem geförderten Vorhaben geknüpft ist. Im Streitfall ist schon zweifelhaft, ob von einer "Erfolgsbezogenheit" in diesem Sinne die Rede sein kann. Im Modernisierungsvertrag wird hierzu nur ausgeführt, über die Zahlung der Vorauszahlungsmittel werde "unter Berücksichtigung der nachhaltig erzielbaren Mieten" entschieden. Die Rückzahlungsverpflichtung ist danach nicht an bestimmte spätere Geschäftsvorfälle geknüpft und durch diese wirtschaftlich verursacht, sondern mehr an die im wesentlichen durch die Höhe der erzielbaren Mieten bestimmte wirtschaftliche Lage des Zuschußempfängers im allge meinen. Jedenfalls bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtsfragen kann danach nicht von einer Verpflichtung ausgegangen werden, die erst durch spätere Geschäftsvorfälle wirtschaftlich verursacht wird. Für seine abweichende Auffassung kann das FA sich auch nicht auf die Ausführungen unter Nr. 2 des Senatsurteils in BFHE 154, 212, BStBl II 1989, 189 berufen. Diese Ausführungen beziehen sich auf Rückzahlungsverpflichtungen, die bei grundsätzlich nicht rückzahlbaren Zuschüssen ausnahmsweise durch Nichterfüllung bzw. Nichtbeibehaltung von Zuschußvoraussetzungen ausgelöst werden.

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4. Danach war die Entscheidung des FG aufzuheben. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war stattzugeben, soweit es um die bilanziellen Auswirkungen der Vorauszahlungsmittel geht; im übrigen war der Antrag als unbegründet abzulehnen. Die Berechnung des hiernach auszusetzenden Betrags wird gemäß § 155 FGO i. V. m. § 575 der Zivilprozeßordnung dem FG übertragen.