Eigenverbrauch durch Entnahme bei Übertragung eines aus unternehmenszwecken bebauten Grundstückes an das eigene Kind; Anforderungen an die Berichtigung des Vorsteueranspruches aufgrund eines Eigenverbrauchs

Fundstellen:

BFH/NV 1993, 57

UR 1991, 295-296 (Volltext mit amtl. LS)

Tatbestand

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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichtete in den Jahren 1972/1973 ein Gebäude, das er mit Vertrag vom 30. September 1973 zum 1. Oktober 1973 an einen Unternehmer verpachtete. Mit Vertrag vom 27. Dezember 1973 übertrug der Kläger das Eigentum an dem Grundstück unentgeltlich auf seinen Sohn. Besitz, Nutzungen und Lasten sollten vereinbarungsgemäß am Tage des Vertragsabschlusses übergehen.

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Der Kläger verzichtete auf die Steuerbefreiung der Verpachtungsumsätze und machte die bei der Errichtung des Gebäudes im Jahre 1973 angefallenen Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung für 1973 geltend. Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Ansicht, der Vorsteuerabzug sei gemäß § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 für die Zeit vom 27. Dezember 1973 bis 30. September 1983 zu berichtigen. Für das Kalenderjahr 1973 verbleibe daher im Ergebnis ein Vorsteuerabzug aus der Herstellung des Gebäudes in Höhe von . . . DM. Nachdem das FA aus anderen Gründen mit Bescheid vom 27. März 1981 die Umsatzsteuer für 1973 auf . . . DM herabgesetzt hatte, wies es den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.

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Die Klage, mit welcher der Kläger den Abzug weiterer Vorsteuern in Höhe von . . . DM begehrt, wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es aus: Der Kläger habe das Gebäude erstmalig am 1. Oktober 1973 zur Ausführung von Umsätzen verwendet. Am 27. Dezember 1973 habe er es zum Eigenverbrauch entnommen. Der Vorsteuerabzug sei daher gemäß § 15a Abs. 4 und 5 UStG 1973 zu berichtigen. Diese Vorschrift sei gemäß § 27 Abs. 13 UStG 1973 (i.d.F. des Art. 6 § 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes - StÄndG - 1973 vom 26. Juni 1973, BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) anzuwenden, da der Kläger das Gebäude nach dem Stichtag 8. Mai 1973 erstmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet habe. Der Vorschlag des Klägers, er habe das Gebäude bereits Ende April/Anfang Mai 1973 erstmalig verwendet, sei zum einen unglaubwürdig, zum anderen aber auch rechtlich fehlerhaft, weil eine erstmalige Verwendung erst nach Fertigstellung des Gebäudes in Betracht komme. Die Berichtigung sei nicht für jedes Jahr des Berichtigungszeitraums, sondern in einem Zuge für den Veranlagungszeitraum der Entnahme vorzunehmen. Dies ergebe sich aus § 15a Abs. 6 UStG 1973, der nur von "Berichtigung", nicht aber von "Berichtigungen" spreche.

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Mit der Revision macht der Kläger geltend, der Vorsteuerabzug sei nicht zu berichtigen, weil sein Sohn das Grundstück zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwende. Hilfsweise trägt er vor, die Vorsteuerberichtigung richte sich nach § 15 Abs. 7 UStG 1973, da er die Büroräume bereits vom 1. Mai 1973 ab dem Pächter - wenn auch zunächst ohne Pachtzahlung - überlassen habe. Im übrigen sei sowohl gemäß § 15 Abs. 7 UStG 1973 als auch gemäß § 15a Abs. 6 UStG 1973 die Berichtigung nicht allein im Kalenderjahr 1973, sondern anteilig für jedes Jahr der Änderung der Verhältnisse durchzuführen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Das FG hat § 15a Abs. 6 UStG 1973 unzutreffend ausgelegt. Die Vorschrift erlaubt nicht die Berichtigung des Vorsteuerabzugs in einem Zuge bei der Veranlagung des Kalenderjahres, in dem sich die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse geändert haben.

6

1.

Die Übertragung des für Zwecke seines Unternehmens (Vermietung und Verpachtung) vom Kläger bebauten Grundstücks auf seinen Sohn ist Eigenverbrauch durch Entnahme gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973; denn die Übertragung erfolgte unentgeltlich und für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens des Klägers liegen (vgl. zu den Voraussetzungen des Entnahmeeigenverbrauchs Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Juni 1987 V R 92/78, BFHE 150, 200, BStBl II 1987, 655). Da dieser Umsatz gemäß § 4 Nr. 9a UStG 1973 steuerfrei war und somit für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen ist als die (steuerpflichtige) Verpachtung des Grundstücks, liegt gemäß § 15a Abs. 4 und 5 UStG 1973 eine zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs führende Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a Abs. 1 UStG 1973 vor. Diese Vorschrift ist im Streitfall anwendbar (§ 27 Abs. 13 Satz 1 UStG 1973), weil nach den bindenden Feststellungen des FG das Wirtschaftsgut nach dem 8. Mai 1973 erstmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet worden ist.

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2.

Gemäß § 15 a Abs. 6 UStG 1973 ist die Berichtigung beim Eigenverbrauch durch Entnahme im Jahre der erstmaligen Verwendung (§ 5 i.V.m. Abs. 4 des § 15a UStG 1973) so vorzunehmen, als wäre das Wirtschaftsgut in der Zeit von der Entnahme (hier: 27. Dezember 1973) bis zum Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums (im Jahre 1983) unter entsprechend geänderten Verhältnissen weiterhin für das Unternehmen verwendet worden. Diese Fiktion der weiteren Verwendung für das Unternehmen korrespondiert mit dem Grundsatz des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1973, wonach für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der Vorsteuerbeträge vorzunehmen ist. Aus der Verwendung des Ausdrucks "Berichtigung" in der Einzahl kann der erkennende Senat (anders als das FG) nicht die gegenteilige Auffassung ableiten, die Berichtigung sei nur einmal, nämlich für das Kalenderjahr der Änderung der Verhältnisse vorzunehmen. Denn es ist anerkannt, daß das Singular bei generalisierender Betrachtung eine Vielzahl ausdrückt (s. Duden, Grammatik, 4. Aufl., Rdnr. 367). In diesem Sinne ist der Ausdruck "Berichtigung" in § 15 a Abs. 6 UStG 1973 zu verstehen.

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3.

Abweichend von § 15 a Abs. 6 UStG 1973 regelt § 1 Abs. 4 der Zehnten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (10. UStDV) vom 11. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3460, BStBl I 1974, 1055), daß im Falle der Entnahme des Wirtschaftsguts während des Berichtigungszeitraums die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für das Kalenderjahr der Entnahme und die folgenden Kalenderjahre bereits bei der Berechnung der Steuer für den Voranmeldungszeitraum durchzuführen ist, in dem die Entnahme zum Eigenverbrauch stattgefunden hat. Die 10. UStDV ist am 1. Januar 1975 in Kraft getreten. Gemäß ihres § 3 Satz 1 ist allerdings u.a. auch § 1 Abs. 4 auf ein Wirtschaftsgut anzuwenden, für das nach § 27 Abs. 13 UStG 1973 die Vorschriften über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs gelten, was im Streitfall auf das entnommene Gebäude des Klägers zutrifft (s.o. 1. am Ende). Die Rückwirkung dieser Regelung hat der Verordnungsgeber in § 3 Satz 2 der 10. UStDV eingeschränkt, indem er dem Unternehmer ein Antragsrecht auf Nichtanwendung eingeräumt hat. Dieses Antragsrecht ist nur hinsichtlich § 1 Abs. 1 und 2 sowie § 2 der 10. UStDV und auch nur für eine Änderung der Verhältnisse im Jahre 1974 gewährt worden, nicht aber hinsichtlich § 1 Abs. 4 der 10. UStDV, der u.a. die Entnahme von Eigenverbrauch regelt, sowie hinsichtlich einer Änderung der Verhältnisse im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung 1973.

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Das Antragsrecht auf Nichtanwendung dient, da die 10. UStDV rückwirkend anzuwenden ist, dem Vertrauensschutz des Unternehmers gegen Regelungen, die ihn materiell benachteiligen können (Wachweger, Umsatzsteuer-Rundschau 1975, 1/4). Eine Benachteiligung kann sich auch bei Anwendung des § 1 Abs. 4 der 10. UStDV ergeben, wenn nämlich - wie im Streitfall - die Berichtigung zu Ungunsten des Unternehmers erfolgt. In diesem Falle würde die am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Verordnung zu Ungunsten des betroffenen Steuerpflichtigen in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen, da der Steuertatbestand - Änderung der Verhältnisse gemäß § 15a Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 und 1 - bereits im Kalenderjahr 1973 abgeschlossen war. Es kommt eine verfassungswidrige Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 26.August 1986 IX R 54/81, BFHE 148, 17, BStBl II 1987, 57) in Betracht. Der Senat kann offenlassen, ob eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 der 10. UStDV möglich ist, die die Annahme der Rechtsunwirksamkeit dieser Vorschrift vermeidet, oder ob davon auszugehen ist, § 3 der 10. UStDV sei rechtsunwirksam, soweit er Fälle der vorliegenden Art betrifft. Denn unter beiden Umständen ergibt sich jedenfalls, daß § 1 Abs. 4 UStDV im Streitfall nicht angewendet werden kann, so daß es bei der dem Grundsatz des § 15a Abs. 1 UStG 1973 entsprechenden Regelung seines Abs. 6 verbleibt.

10

4.

Da das Urteil des FG mit der Rechtsauffassung des Senats nicht in Einklang steht, war es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, der Senat kann durcherkennen. Die Umsatzsteuer für 1973 war antragsgemäß unter Berücksichtigung weiterer Vorsteuern in Höhe von . . . DM (insgesamt in 1973 anläßlich der Errichtung des Gebäudes angefallene Vorsteuerbeträge in Höhe von . . . DM) auf . . . DM herabzusetzen. Da die Entnahme des Gebäudes zum Eigenverbrauch am 27. Dezember 1973 erfolgt ist, entfallen auf das Jahr 1973 vier Tage steuerschädlicher Verwendung. Dieser Zeitraum ist im Verhältnis zur Dauer der steuerpflichtigen Verwendung im Jahre 1973 geringfügig und wird überdies bei der Ermittlung des Endes des Berichtigungszeitraums berücksichtigt (vgl. § 2 Satz 2 der 10. UStDV). Der Senat sieht daher im Streitfall von der Berücksichtigung eines anteiligen Vorsteuerberichtigungsbetrages für das Jahr 1973 ab. Vorsteuerberichtigungen der nachfolgenden Kalenderjahre sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.