Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bei Beantragung einer einstweiligen Anordnung

Fundstelle:

BFH/NV 1994, 104

Tatbestand

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Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) begehrt mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht (FG) die Stundung der Einkommensteuer und darauf entfallender Aussetzungszinsen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den zuvor von ihr gestellten Antrag auf Erlaß.

2

Gleichzeitig beantragte sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) aufgegeben werden sollte, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage die angekündigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen.

3

Das FG lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Notwendigkeit, zwecks vorläufiger Zahlung der Steuer vorzeitig das jeweils für einen Monat fest angelegte Kapital zu kündigen, mache den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht unabweisbar. Die Frage der Sicherung des Mindestlebensunterhalts stelle sich nicht; die Bonität der Antragstellerin stehe außer Frage.

4

Hiergegen legte die Antragstellerin Beschwerde ein.

5

Während des Beschwerdeverfahrens beglich sie die Steuerrückstände vollständig, nachdem das FA die von ihr angebotene selbstschuldnerische Bankbürgschaft abgelehnt und gedroht hatte, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu veranlassen.

6

Nunmehr beantragt die Antragstellerin,

im Hinblick darauf, daß das FA zwischenzeitlich die Zahlung erzwungen habe, hinsichtlich der festgesetzten Einkommensteuer, Aussetzungszinsen und Säumniszuschläge die Vollziehung aufzuheben und erneute Vollstreckungsmaßnahmen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Stundungsantrag zu unterlassen.

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Sie ist der Auffassung, es sei geboten, in dem einstweiligen Anordnungsverfahren erneut die Aufhebung der Vollziehung zu begehren, da kein Zweifel daran bestehen könne, daß die Zahlung der fraglichen Steuerbeträge im Rahmen des Beitreibungsverfahrens, also nicht freiwillig erfolgt sei. Auch nach einer erzwungenen Zahlung müsse - wie in den auf Aussetzung der Vollziehung gerichteten Verfahren - noch die Möglichkeit bestehen, eine Sachentscheidung zu treffen.

Entscheidungsgründe

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Die Beschwerde ist unbegründet.

9

Der Senat entnimmt den Ausführungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, daß sie ihre Zahlung einer Vollstreckungsmaßnahme gleichgestellt wissen will und - neben einem vorläufigen Ausschluß erneuter Vollstreckungsmaßnahmen - in Anlehnung an die in § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) vorgesehene Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen die Rückgängigmachung der Zahlung durch eine einstweilige Anordnung anstrebt.

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Mit diesem Begehren kann die Antragstellerin zumindest deshalb keinen Erfolg haben, weil sie entgegen dem Erfordernis nach § 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) einen Anordnungsgrund i.S. des § 114 Abs. 1 FGO nicht glaubhaft gemacht hat.

11

Die Antragstellerin strebt mit der Rückgängigmachung der Zahlung eine Regelungsanordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO an. Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (wesentliche Nachteile und drohende Gewalt) setzen Maßstäbe auch für die anderen Gründe im Sinne dieser Bestimmung. Andere Gründe rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind wie wesentliche Nachteile und drohende Gewalt; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236).

12

Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind, für sich allein gesehen, keine Anordnungsgründe. Der Steuerschuldner muß deshalb die Vollstreckung aus Steuerbescheiden grundsätzlich dulden. Er kann allenfalls mit der Geltendmachung von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung oder eine Zwangsvollstreckung hinausgehen (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BFH-Beschluß vom 30. März 1989 VII B 221/88, BFH/NV 1989, 794 m.w.N.).

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Weder in der Vorinstanz noch im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin derartige Nachteile dargelegt und glaubhaft gemacht.