Aufhebung eines Grunderwerbsteuerbescheids auf Grund abgelaufener Festsetzungsfrist

Fundstelle:

BFH/NV 1996, 357

Tatbestand

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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) -- eine KG -- wurde durch notariell beurkundeten Vertrag vom 21. September 1978 von K und W gegründet. K wurde Komplementär, W Kommanditist. Auf beide Gesellschafter entfiel eine Kapitalbeteiligung von je 25 000 DM.

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In dem selben Vertrag vom 21. September 1978 schlossen K und W mit der Klägerin einen Vertrag, in dem sie sich zur Einbringung eines je zur Hälfte in ihrem Miteigentum stehenden Grundstücks verpflichteten.

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Der beurkundende Notar übersandte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) mit Schreiben vom 25. September 1978 die Urkunde zur Kenntnis und beantragte die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Einen Antrag auf Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 des damals geltenden Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 1977 (GrEStG) stellte er nicht.

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Durch Verfügung vom 28. September 1978 stellte das FA den Erwerbsvorgang nach § 5 Abs. 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer frei und erteilte die beantragte Unbedenklichkeitsbescheinigung.

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Im Jahre 1984 erfuhr das FA durch eine Kontrollmitteilung, daß der Gesellschafter K noch am 21. September 1978 seinen Gesellschaftsanteil an die A und der Gesellschafter W seinen Anteil am 22. September 1978 auf die B übertragen hatten und daß die der Gründung der Klägerin unmittelbar nachfolgende Übertragung der Geschäftsanteile von Anfang an geplant gewesen war. Dieses Vorgehen wertete das FA als einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und kam zu der Auffassung, Grunderwerbsteuer sei so zu erheben, als hätten die beiden Gesellschaften A und B unmittelbar von den Gesellschaftern K und W deren halbe Grundstücksanteile erworben. Es setzte daraufhin Grunderwerbsteuer gegen die beiden Gesellschaften fest.

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Nachdem die Oberfinanzdirektion (OFD) im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens die Rechtslage überprüft hatte, wies sie das FA an, die Bescheide gegen die Gesellschaften A und B aufzuheben und statt dessen unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (vgl. Urteile vom 6. Oktober 1982 II R 92/80, BFHE 137, 87, BStBl II 1983, 138, und vom 24. November 1982 II R 38/78, BFHE 138, 97, BStBl II 1983, 429) einen Bescheid gegen die Kläger zu erlassen. Daraufhin setzte das FA durch Grunderwerbsteuerbescheid vom 26. März 1985 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. In der Erläuterung dazu wurde darauf hingewiesen, daß die Besteuerung aufgrund des durch die Betriebsprüfung festgestellten Sachverhalts erfolge. Auf das Urteil des BFH vom 24. November 1982 II R 38/78 (BStBl II 1983, 429) wurde verwiesen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Am 29. Mai 1985 setzte das FA erneut Grunderwerbsteuer fest. Dieser Bescheid war gerichtet an Firma C-GmbH. In der Erläuterung wurde darauf hingewiesen, daß der Bescheid an sie als Liquidator der Firma A i. L. ergehe. Der Bescheid vom 26. März 1985 sei aufgrund Bekanntgabemangels nicht wirksam. Gegen diesen Bescheid wurde wiederum Einspruch ein gelegt. Mit diesem wurde in erster Linie geltend gemacht, daß der angefochtene Bescheid wegen Ablauf der Festsetzungsfrist rechtswidrig sei. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

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Hiergegen richtete sich die Klage, die weiterhin auf Festsetzungsverjährung gestützt wurde; diese sei bereits mit Ablauf des Jahres 1983 eingetreten. Nach § 16a Satz 1 GrEStG habe die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres zu laufen begonnen, in dem sie -- die Klägerin -- ins Grundbuch eingetragen worden sei. Das sei unstreitig im Jahre 1979 geschehen. Mit der Anzeige der Einbringung des Grundstücks durch den beurkundenden Notar seien sämtliche Anzeigepflichten nach §§ 18 und 19 GrEStG erfüllt worden. Insbesondere habe keine Verpflichtung bestanden, die spätere Übertragung der Anteile und die von vornherein bestehende Absicht dazu mitzuteilen.

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Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid und den diesen bestätigenden Einspruchsentscheid aufgehoben. Der Bescheid sei rechtswidrig, da im Zeitpunkt seines Erlasses die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen sei. Diese beginne nach § 16a Satz 1 GrEStG mit Ablauf des 31. Dezember 1979. Die Klägerin sei im Jahre 1979 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen worden. Die vierjährige Festsetzungsfrist sei mithin am 31. Dezember 1983 abgelaufen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Beginn der Festsetzungsfrist nicht nach § 16a Satz 2 GrEStG gehemmt gewesen. Im Streitfall sei keine für Zwecke der Grunderwerbsteuer vorgeschriebene Anzeige zu spät eingegangen. Insbesondere habe der Notar seine Mitteilungspflichten erfüllt. Eine weitergehende Mitteilungspflicht habe nicht bestanden. Eine Mitteilungspflicht folge auch weder aus § 153 der Abgabenordnung (AO 1977) noch aus § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG. Eine vorsätzliche Verkürzung der Grunderwerbsteuer -- nur bei Vorliegen einer solchen wäre im Streitfall noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten -- sei im Streitfall nicht festzustellen. Ein strafbares Verhalten des Notars könne ausgeschlossen werden. Als Täter einer Steuerhinterziehung kämen mithin ernstlich nur K und W in Betracht. Diese hätten, was den Vorgang der Freistellung der Grunderwerbsteuer nach § 5 Abs. 1 GrEStG betreffe, gegenüber dem Beklagten jedoch keinerlei Erklärungen abgegeben. Der Beklagte habe nach dem Inhalt der Steuerakten die genannte Steuerbefreiung vielmehr ohne jeden besonderen Antrag allein aufgrund des ihm vorliegenden Gründungs- und Einbringungsvertrags gewährt. Es fehle mithin bereits die Verwirklichung des objektiven Tatbestands.

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Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Gerügt wird die Verletzung von § 16a GrEStG. Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Das FA stimme zwar mit dem FG darüber ein, daß eine Anlaufhemmung nach § 16a Satz 2 GrEStG nicht wegen Verletzung der §§ 18, 19 GrEStG eingetreten sei. Auch eine Verletzung des § 153 AO 1977 liege nicht vor. Trotz Fehlens einer Verletzung von Verpflichtungen aus §§ 18, 19 GrEStG seien aber die Voraussetzungen des § 16a Satz 2 GrEStG erfüllt. Um in den Genuß des Verjährungseintritts zu kommen, habe nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch die "Steuerumgehungskonstruktion" angezeigt werden müssen. Der Steuerpflichtige sei zur Offenbarung verpflichtet gewesen, daß eine vollständige Anteilsübertragung unmittelbar bevorgestanden habe. Im Unterlassen dieser Angabe liege eine unrichtige und unvollständige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen i. S. des § 370 Abs. 1 AO 1977, wodurch der Steuerpflichtige einen ungerechtfertigten Steuervorteil erlangt habe.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des FA ist unbegründet.

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Das FG hat zu Recht den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid aufgehoben. In dem Zeitpunkt, in dem dieser erging, war die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

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1.

Der vorliegende Rechtsstreit betrifft Anwendung und Auslegung von revisiblem Landesrecht (GrEStG 1970). Zwar ist § 160 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), aus dem sich die Revisibilität der landesrechtlichen Vorschriften des Grunderwerbsteuerrechts ergab, durch Art. 1 Nr. 37 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung ab 1. Januar 1993 aufgehoben worden (vgl. Senatsentscheidung vom 26. April 1995 II R 6/94, Deutsches Steuerrecht 1995, 1465). Jedoch hält der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung die Revisibilität landesrechtlicher Vorschriften für gegeben, wenn diese noch im Zeitpunkt der Einlegung der Revision bestand (vgl. z. B. Senatsentscheidungen vom 13. April 1994 II R 93/90, BFHE 174, 380, BStBl II 1994, 817, und vom 18. Mai 1994 II R 119/90, BFH/NV 1995, 267). Letzteres trifft im Streitfall zu.

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2.

Mit dem angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid wird die durch Vertrag vom 21. September 1978 vereinbarte Einbringung des Grundstücks durch die Miteigentümer K und W in die KG besteuert. Dieser Rechtsvorgang unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, begann die Festsetzungsfrist nach § 16a Satz 1 GrEStG mit Ablauf des Jahres 1979, da die Klägerin in diesem Jahr im Grundbuch eingetragen worden war; sie endete mithin mit Ablauf des Jahres 1983 (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).

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Zu Recht hat das FG angenommen, daß die Voraussetzungen für eine Anlaufhemmung nach § 16a Satz 2 GrEStG nicht vorlagen. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g GrEStG war der Notar zur Anzeige des Rechtsvorgangs verpflichtet. Eine Anzeigepflicht der Beteiligten bestand daher nicht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG). Der allein anzeigepflichtige Notar hat seiner Anzeigepflicht mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt genügt. Dieser wird in § 20 GrEStG umschrieben. Zwar sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die vom FA zunächst gewährte Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 1 GrEStG nicht erfüllt, da die einbringenden Miteigentümer aufgrund eines vorgefaßten Plans in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Grundstücksübertragung auf die Gesamthand ihre Gesellschafterstellung auf einen anderen übertragen haben (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 1991 II R 38/87, BFHE 163, 246, BStBl II 1991, 374), die Angabe dieser zur Versagung der sonst indizierten Steuervergünstigung führenden Umstände ist jedoch nach § 20 GrEStG nicht vorgeschrieben. Die Übertragung der Anteile von K und W auf die neuen Gesellschafter kann für sich gesehen zu einem weiteren steuerbaren Vorgang führen (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1991 II R 7/88, BFHE 166, 180 [BFH 13.11.1991 - II R 7/88], BStBl II 1992, 202). Dieser nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i. V. .m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer unterliegende Vorgang ist seinerseits nach § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG von den Beteiligten anzuzeigen. Diese Anzeigepflicht ist jedoch für die im Streitfall allein zu beurteilende Grundstückseinbringung in die Klägerin ohne Bedeutung. Der Inhalt der Anzeigepflicht für den Vorgang der Grundstückseinbringung richtet sich allein nach § 20 GrEStG, der eine Anzeige der Umstände, die zur Versagung der Steuerbefreiung führen können, nicht verlangt.

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Zu Recht hat es das FG auch verneint, daß die Voraussetzungen für eine Anzeigepflicht nach § 153 AO 1977 vorliegen. Die Festsetzungsfrist wäre daher im Streitfall nur dann nicht abgelaufen gewesen, wenn die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zehn Jahre betragen hätte; dies würde eine Steuerhinterziehung i. S. des § 370 AO 1977 voraussetzen, die das FG verneint hat. Ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, ist im wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG können in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt, d. h. im wesentlichen auf das richtige Verständnis der maßgeblichen Rechtsbegriffe sowie auf die Einhaltung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen überprüft werden. Danach ist das vom FG gefundene Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die objektiv zu Unrecht gewährte Steuervergünstigung ist von den Beteiligten nicht beantragt worden, auch ist ihnen gegenüber nicht einmal eine förmliche Steuerbefreiung erfolgt.