Niedergelassener Arzt; Teilnahme am Fachkongreß; Berufliche Veranlassung

Rechtsgrundlage:

§ 4 Abs. 4 EStG

Fundstellen:

BFHE 182, 536 - 539

BB 1997, 1025-1026 (Volltext mit amtl. LS)

BB 1997, 876 (amtl. Leitsatz)

BFH/NV 1997, 215-216

BStBl II 1997, 357-358 (Volltext mit amtl. LS)

DB 1997, 1161-1162 (Volltext mit amtl. LS)

DStR 1997, 606-608 (Volltext mit amtl. LS)

DStRE 1997, 985 (amtl. Leitsatz)

DStZ 1997, 532 (Volltext mit amtl. LS)

HFR 1997, 475-477 (Volltext mit amtl. LS)

KÖSDI 1997, 11092-11093 (Kurzinformation)

NJW 1997, 3119-3120 (Volltext mit amtl. LS)

NWB 1997, 1275

Amtlicher Leitsatz:

Das Halten eines Vortrags ist für sich genommen nicht geeignet, die Teilnahme eines niedergelassenen Arztes an einem Fachkongreß als unmittelbar beruflich veranlaßt anzusehen (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 12.4.1979, IV R 106/77, BFHE 127 S. 533, BStBl 1979 II S. 513).

Tatbestand:

1

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der in Westjordanien geborene Kläger erzielte als Zahnarzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er nahm im Streitjahr (1989) an dem Zweiten Wissenschaftlichen Kongreß der Vereinigung der syrischen Zahnärzte in Damaskus/Syrien teil und machte dafür insgesamt Aufwendungen als Betriebsausgaben geltend. Der Kongreß fand in der Zeit vom 9.10.1989 bis zum 12.10.1989 statt. Der Kläger gehörte als Mitglied des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Wissenschaften dem Organisationskomitee an und hielt selbst am 11.10.1989 einen 30-minütigen Fachvortrag. Im übrigen übersetzte er wissenschaftliche Vorträge vom Deutschen ins Arabische, war Begleiter der deutschen Delegation und fungierte als Dolmetscher bei den Gesprächen mit Kollegen der Zahnärztekammer Syriens und der zahnmedizinischen Fakultät der Universität Damaskus.

2

Der Kläger war zu dem Kongreß bereits am 7.10.1989 angereist; er reiste am 15.10.1989 zurück.

3

Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die ursprünglich in vollem Umfang anerkannten Aufwendungen nicht mehr an, berücksichtigte aber in der Einspruchsentscheidung Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten für vier Tage sowie die Kongreßgebühren. Im übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg. Das FA führte dazu aus, nur während der Kongreßtage selbst sei eine ausschließlich berufliche Veranlassung anzunehmen und die Verfolgung privater Interessen von untergeordneter Bedeutung gewesen.

4

Mit der Klage brachte der Kläger vor, er sei aufgrund des Linienverkehrs mit der Lufthansa gezwungen gewesen, bereits am 7.10. an und erst am 15.10.1989 abzureisen. Am 5., 13. und 14.10. habe er Termine und informative Kontakte mit Berufskollegen gehabt und eine Dentalfirma für zahnmedizinische Einrichtungen besucht. Da er einen Fachvortrag auf dem Kongreß gehalten habe, sei die Reise unmittelbar beruflich veranlaßt gewesen. Daß er als Dolmetscher zusätzliche Aufgaben ehrenamtlich übernommen habe, sei unerheblich,

5

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 644 veröffentlichen Urteil zu dem Ergebnis, daß über die bereits anerkannten Aufwendungen hinaus nach den Grundsätzen über die sog. Informationsreisen ins Ausland keine weiteren Aufwendungen als Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien.

6

Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision rügen die Kläger die Verletzung von Bundesrecht (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ).

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist nicht begründet.

8

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), an der festzuhalten ist, führen Auslandsreisen, die nach der Lebenserfahrung sowohl dem beruflichen als auch dem Bereich der privaten Lebensführung angehören können, nur dann zu abziehbaren Betriebsausgaben, wenn die Reisen ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im betrieblichen oder beruflichen Interesse unternommen werden, wenn also die Verfolgung privater Interessen, wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22.5.1974 I R 212/72, BFHE 113, 274, BStBl II 1975, 70; Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27.11.1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Andernfalls sind die gesamten Reisekosten nicht abziehbar soweit sich nicht ein durch den Beruf veranlaßter Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen läßt (Senatsurteile vom 4.8.1977 IV R 30/76, BFHE 122, 526, BStBl II 1977, 829, und vom 14.7.1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19).

9

Für die Beurteilung der Frage, ob für eine Reise in nicht unerheblichem Umfang Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle gespielt haben, hat die Rechtsprechung in erster Linie auf den Zweck der Reise abgestellt. Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher (beruflicher) Anlaß zugrunde liegt, sind in der Regel ausschließlich der betrieblichen (beruflichen) Sphäre zuzuordnen. Anders dagegen sind Auslandsreisen zu beurteilen, denen ein solcher konkreter Bezug zur betrieblichen (beruflichen) Tätigkeit fehlt. Hierher gehören insbesondere Reisen zu Informationszwecken (Gruppenreisen zu Studienzwecken, Kongreßreisen - Senatsurteil vom 18.10.1990 IV R 72/89, BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92).

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Zutreffend hat das FG entschieden, daß das Halten eines 30-minütigen Vortrags für sich genommen nicht geeignet ist, die Teilnahme eines niedergelassenen Arztes an einem Fachkongreß als unmittelbar beruflich veranlaßt anzusehen. Das Senatsurteil vom 12.4.1979 IV R 106/77 (BFHE 127, 533, BStBl II 1979, 513) betraf einen Sonderfall. Aus ihm läßt sich nur der Rechtssatz herleiten, daß das Halten eines Fachvortrags je nach der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ein unmittelbarer Anlaß für eine Reise sein kann. Der Schluß, daß es sich in jedem Fall so verhalten muß, ist dagegen nicht gerechtfertigt. Sollte er sich aus dem Urteil in BFHE 127, 533, BStBl II 1979, 513 ergeben, so hielte der Senat hieran nicht mehr fest.

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Im Streitfall ist nicht zu erkennen, welchen unmittelbaren beruflichen Vorteil der Kläger als niedergelassener Zahnarzt aus dem Halten des Vortrags (einer Möglichkeit, die laut Einladung jedem Teilnehmer eingeräumt war) hätte ziehen können. Der berufliche Anreiz, ein die Kosten übersteigendes Vortragshonorar zu erhalten, scheidet erkennbar aus.

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Versagt der "unmittelbare betriebliche Anlaß" als Indiz für untergeordnete Bedeutung einer privaten Mitveranlassung, so ist zu fragen, ob die beruflichen Vorteile, die dem Kläger aus der Teilnahme an dem Kongreß erwuchsen, ausreichten, um die mit einer Auslandsreise stets verbundenen privaten Aspekte in den Hintergrund treten zu lassen. Als mögliche berufliche Vorteile kommen im wesentlichen die bei den Vorträgen und ggf. anschließenden Diskussionen gewonnenen neuen fachlichen Kenntnisse in Betracht. Bei der Abwägung dieser Möglichkeit der Kenntniserweiterung mit den privaten Motiven ist zum einen die Frage zu stellen, inwiefern fachliche Gründe dafür sprachen, gerade einen Kongreß in Damaskus zu besuchen. Zwar liegt es auf der Hand, daß Ärztekongresse, die sich durch Vorträge hochrangiger Wissenschaftler aus aller Welt auszeichnen, (auch) im Ausland stattfinden. Dafür, daß es sich im Streitfall in diesem Sinne um einen internationalen Kongreß gehandelt hätte, sind jedoch keine Anzeichen erkennbar. Ferner ist bei der gebotenen Abwägung in Betracht zu ziehen, daß abgesehen von dem vom Kläger selbst gehaltenen Vortrag seine Teilnahme an den einzelnen Referaten nicht nachgewiesen ist. Daß der Kläger anläßlich des Kongresses Fachvorträge aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt hat, spricht entgegen der Auffassung des FG zwar nicht für eine private Veranlassung. Auf der anderen Seite ist dieser Umstand jedoch nicht geeignet, die (nahezu) ausschließlich berufliche Veranlassung der Reise nachzuweisen, zumal nicht vorgetragen ist, welche oder auch nur wieviele Vorträge der Kläger übersetzt hat.

13

Bei Betrachtung aller Umstände kann der Senat keinen Grund feststellen, der die Reise dem Interesse der zahnärztlichen Praxis des Klägers hätte dienlich erscheinen lassen. Dagegen sind die verschiedensten privaten Motive denkbar. Eines könnte darin bestehen, daß der Kläger die Gelegenheit benutzen wollte, den heimischen Kulturkreis, möglicherweise auch Freunde und Verwandte zu besuchen. Da an dem Nachweis des nahezu ausschließlich betrieblichen Charakters von reisen strenge Anforderungen zu stellen sind (BFH-Urteil in BFHE 122, 526, BStBl II 1977, 829), konnte die Klage keinen Erfolg haben.