Prozeßvollmacht; Fehlender Prozeßvertreter; Wirksamkeit der Rechtsmitteleinlegung ; Sachentscheidungsvoraussetzung; Prozeßhandlungsvoraussetzung

Rechtsgrundlagen:

§ 62 Abs. 3 S. 1 FGO

§ 62 Abs. 3 S. 2 FGO

§ 155 FGO

§ 115 Abs. 3 S. 1 FGO

§ 62 Abs. 3 S. 3 FGO

§ 88 Abs. 2 ZPO

§ 87 Abs. 1 ZPO

Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG

Fundstelle:

BFH/NV 2000, 59

Redaktioneller Leitsatz:

Redaktioneller Leitsatz

Wird die Vollmacht widerrufen, kann die Vertretungsbefugnis nur durch Vorlage einer neuen Vollmacht nachgewiesen werden, die nach dem Widerruf erteilt ist.

Gründe

1

Nach Klageabweisung durch das Finanzgericht (FG) legte Steuerberater X für den Kläger und Revisionskläger (Kläger) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein. Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens erklärte der Kläger den Widerruf der Prozeßvollmacht, bestellte aber trotz Belehrung durch die Geschäftsstelle des Senats keinen anderen Prozeßvertreter. Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) die Revision zugelassen hatte, legte X, der über den Widerruf der Vollmacht unterrichtet worden war, namens des Klägers Revision ein, ohne eine neue Vollmacht vorzulegen. Die Geschäftsstelle des Senats forderte X daraufhin unter Hinweis auf § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage einer Prozeßvollmacht für das Revisionsverfahren auf.

2

Nach Erinnerung legte X eine undatierte, vom Kläger unterschriebene und X als Bevollmächtigten ausweisende Vollmacht vor. Die Vollmachtsurkunde weist Perforationen von früheren Heftungen und eine Faltstelle auf und ist an einer Ecke abgeschnitten. Die Geschäftsstelle des Senats forderte X daraufhin nochmals auf, bis zum 20. Juni 1999 eine neue Prozeßvollmacht für das Revisionsverfahren vorzulegen, da Zweifel bestünden, daß die vorgelegte Vollmacht nach dem Widerruf erteilt worden sei. X ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen.

3

Die Revision ist unzulässig, da die Bevollmächtigung des namens des Klägers aufgetretenen X nicht durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen worden ist (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Die --rechtzeitige-- Vorlage einer Prozeßvollmacht betrifft die Wirksamkeit der Rechtsmitteleinlegung und ist Sachentscheidungs- und Prozeßhandlungsvoraussetzung (vgl. Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. , § 62 Rdnr. 2, m. w. N. ). Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO). § 88 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der für den Anwaltsprozeß eine Ausnahme vorsieht, ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht entsprechend anwendbar (BFH-Urteil vom 18. Februar 1987 II R 213/84, BFHE 149, 19, BStBl II 1987, 392).

4

X hat trotz wiederholter Aufforderung durch die Geschäftsstelle des Senats keine den Anforderungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO entsprechende Vollmacht vorgelegt. Die ursprüngliche, im Klageverfahren vorgelegte Vollmacht ist durch Widerruf erloschen. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß bei Vertretung vor dem BFH gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. V. m. § 155 FGO und § 87 Abs. 1 ZPO der Widerruf gegenüber dem BFH erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozeßbevollmächtigten wirksam wird (BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238) und daher X mangels Benennung eines anderen Prozeßbevollmächtigten durch den Kläger für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde weiter als bevollmächtigt galt. Da Beschwerdeverfahren und Revisionsverfahren je gesonderte Verfahren sind (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO), war die Fiktion der Fortgeltung der Vollmacht auf das Beschwerdeverfahren beschränkt.

5

Hat der Vollmachtgeber --wie im Streitfall-- die zunächst erteilte Vollmacht widerrufen, kann die Vertretungsbefugnis nur durch Vorlage einer erneuten Vollmacht nachgewiesen werden, die nach dem Widerruf erteilt ist (BFH-Beschlüsse vom 15. April 1994 III B 97/93, BFH/NV 1995, 148, und vom 2. Mai 1994 X B 124/93, BFH/NV 1995, 44). X hat nicht nachgewiesen, daß ihm der Kläger nach dem Widerruf eine neue Prozeßvollmacht für das Revisionsverfahren erteilt hat. Die vorgelegte Vollmacht ist nicht geeignet, die --erneute-- Bevollmächtigung nachzuweisen. Nach dem äußeren Erscheinungsbild dieser Vollmachtsurkunde bestehen erhebliche Zweifel, ob diese nach dem Widerruf erteilt ist. Diese Zweifel können auch nicht durch das Übersendungsschreiben, das nach dem Widerruf verfaßt wurde, ausgeräumt werden. Mit dem Übersendungsschreiben kann zwar eine Blankovollmacht konkretisiert und damit der erforderliche Bezug zum Klageverfahren hergestellt werden (Senatsurteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445); es kann aber keinen Nachweis über den Zeitpunkt der Ausstellung der Blankovollmacht selbst erbringen. Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht sind im Streitfall auch berechtigt. Anders als in dem dem vorgenannten Senatsurteil zugrundeliegenden Sachverhalt ist im Streitfall die Vollmacht widerrufen worden, so daß sich die Zweifel erhärtet haben.

6

Wird die Vollmacht nicht vorgelegt, ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Der vorherigen Setzung einer Ausschlußfrist gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO bedarf es nicht. Es genügt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, daß das Gericht den Betroffenen auf den Mangel hinweist, d. h. ihn zur Vorlage der Vollmacht auffordert (BFH-Beschluß vom 26. Januar 1999 VII B 239/98, BFH/NV 1999, 823).

7

Die Entscheidung über die Revision ergeht zwar gegenüber dem Kläger. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind jedoch dem vollmachtlosen Vertreter X aufzuerlegen, weil er das erfolglose Revisionsverfahren veranlaßt hat (ständige Rechtsprechung, s. Gräber/Koch, a. a. O. , § 62 Rdnr. 67, m. w. N. ).